Sonntag, 30. Mai 2010

Ein neuer Chef



Nach anderthalb Jahren Interimszeit haben wir endlich einen neuen Chef. Der Methodistenbischof Rolando Villena wurde Mitte Mai mit Zweidrittelmehrheit vom Parlament zum Defensor del Pueblo gewählt.

Gleich zu Beginn wehte ihm ein heftiger Wind ins Gesicht. Zum einen stammte die Zweidrittelmehrheit alleine von der Regierungspartei des Evo Morales, so dass seine Unabhängigkeit in Zweifel steht. Zum anderen eskalierten gleich in den ersten Tagen seiner Amtszeit zwei Konflikte.

Die Regierung schickte 700 Polizisten ins Tiefland nach Caranavi, um eine Straßenblockade der Bevölkerung nach zwölf Tagen aufzulösen. Dabei starben zwei Menschen durch Schüsse. Es gab etliche Verletzte, und mehrere Dutzend Menschen wurden nach Hausdurchsuchungen ungerechtfertigterweise verhaftet und nach La Paz gebracht. Zwei Nachbardörfer stritten um den Sitz einer Staatsfabrik zur Verarbeitung von Zitrusfrüchten.

Und im Hochland, im Departamento Potosí, haben Dorfbewohner vier Polizisten auf Streife umgebracht, ihr Territorium zum rechtsfreien Raum erklärt und außerdem die Herausgabe der Leichen verweigert. Dort geht es um nicht aufgeklärte Verbrechen, Kokainfabriken, Schmuggel und Korruption.

Nebenbei aber muss der neue Defensor natürlich seine Institution erst einmal kennen lernen. Bisher sieht es nicht so aus, als würde er das gesamte Personal austauschen - aber nichts Genaues weiß man noch nicht.

Sonntag, 16. Mai 2010

Südwind



Alle zwei Jahre treffen sich die lateinamerikanischen Friedensfachkräfte des DED zum Austausch. Der fand in diesem Jahr in der Chiquitanía in Bolivien statt. Neun Tage lang Zeit für Gespräche über Konflikt und Dialog, Gewalt und Mediation, Diskriminierung und Interkulturalität. Und Zeit natürlich für ein abendliches Bier mit alten Kollegen aus Ecuador, Peru und Guatemala und sogar aus der ZFD-Fortbildung, damals in Königswinter am Rhein. Eigentlich ganz schön - wenn nicht immer dieser kalte Südwind wäre, wenn ich ins Tiefland fahre . . .

Freitag, 14. Mai 2010

Frauen unter sich









Für den Besuch des Indigenen-Territoriums Monte Verde in der Chiquitanía muss man ein bisschen Zeit einplanen. Von Santa Cruz aus sind es fünf Stunden Autofahrt bis nach Concepción, und von dort bis zum ersten Dorf von Monte Verde, das Palestina heißt, holpert man nochmal zwei Stunden über schlechte Sandpiste.

In Palestina begrüßten die Schulkinder die Gäste mit einem großen Willkommenbanner, DED-Kollege Carlos musste die Flagge hissen, während die Nationalhymne gesungen wurde, die mir immer wieder Gänsehaut verursacht: "¡Morir antes que esclavos vivir!" - "Lieber sterben als wie Sklaven leben!"

Die Dorfbewohner erklärten die Geschichte ihres Territoriums, ihren Forst-Managementplan, die Probleme mit einer Konzession für eine Goldbergwerksfirma und dass die Boni für die schwangeren Mütter, die die Regierung eingeführt hat, nicht im Ort ankommen.

Es sprachen die Männer. Nach vier Stunden Versammlung hatten die Frauen aber gemerkt, dass die Besuchergruppe fast nur aus Frauen besteht. Und da gab es nochmal ein extra Gruppenfoto.

Montag, 10. Mai 2010

Alte Geschichten


Kirche von San Javier.

Die Missionen in der Chiquitanía, fünf Stunden Autofahrt von Santa Cruz, sind heute eines der Touristenziele in Bolivien. In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts siedelten dort die Jesuiten und lehrten den Ureinwohnern, den Chiquitos oder Chiquitanos, wie man Holz bearbeitet, Heilige malt und Kirchen baut. Sie siedelten die Chiquitanos in künstlichen Dörfern, so genannten Reduktiones, an und missionierten, bis sie von den Spaniern aus den Kolonien geschmissen wurden.

Geblieben sind von dieser Geschichte ein paar Heilige (jesuitische Missionare, die von den Chiquitanos umgebracht wurden), wunderschöne Holzkirchen und eine reiche Barockmusik-Tradition.


Kirche von San Javier.



Kirche von San Javier.



Kirche von San Javier.



Kirche von Concepción.



Innenhof der Kirche von Concepción.



Kirche von Concepción.


Hauptplatz von Concepción.



Kirche von Concepción.



Profanes aus San Javier: Mülltrennung mit Plastikflaschen im Bio-Eimer.

Freitag, 30. April 2010

¿Itzi? - !Itzi!


Gonzalo beim Frühstück in San Borja.


Willkommen am Flughafen von San Borja.

Gesundheitsposten? Gibt´s nicht. Medikamente? Gibt´s nicht. Lehrer? Gibt´s nicht. Trinkwasser? Gibt´s nicht. Staatliche Institutionen? Gibt´s nicht. Geburtsurkunden? Gibt´s nicht. Ausweise? Gibt´s nicht. Die Antwort war immer diesselbe: "Itzi!" Das ist Tsiman und ich lernte recht schnell, was das auf Deutsch heisst: Gibt´s nicht. Meine letzte Reise führte eben dahin, wo es nichts gibt außer Elend, Krankheit, Misshandlung und dem absoluten Ausgeliefertsein an die Natur und allem, was von außen kommt - was selten was Gutes ist.

Aber langsam.

Von La Paz flogen mein Chef Gonzalo und ich Richtung Nordosten in die Provinz Ballivián im Departamento Beni, über den Touristenort Rurrenabaque nach San Borja. Eine Beschreibung des Ethnologen Jürgen Riester aus dem Jahr 1971 von San Borja ist nicht sehr anziehend: "Eines jener einfachen Dörfer in der Stille des Dschungels, die ihre eigenen Gesetze und ihre eigene Dynamik besitzen, wo die Elite der Viehzüchter mit ihren Landgütern das soziale Leben bestimmt. Getränkt von Hitze und Feuchtigkeit. Kann sein, dass es keinen Zucker gibt oder kein Benzin, aber niemals fehlt es an Bier. Bei Anbruch der Dunkelheit versammeln sich die Borjanos auf dem Hauptplatz, um zu diskutieren, an kleinen Ständen Tigermilch (Milch mit Alkohol) zu trinken und dabei die Mücken zu vergessen. Jede Nacht gibt es Trinkgelage, und Schlägereien mit Messer und Pistole sind keine Seltenheit. Die Abgeschiedenheit und die Einsamkeit beherrschen die menschlichen Beziehungen und können sich in jedem Moment in Agression verwandeln. Die Borjaner sind überzeugt, dass Bolivien in San Borja beginnt und in San Borja endet und daß ihre Heimat die beste der Welt ist."




Nachtszenen in San Borja.





Vierzig Jahre später ist San Borja wegen der Migration aus dem Hochland bedeutend größer. Zwischendrin war es mal Produktionszentrum für Kokain. Aber auch das ist wieder vorbei. Geblieben ist nur der Hauch des Cowboy-Provinznestes.

Aber San Borja war auch nicht unser Ziel. Von dort brachen wir mit Selva Velarde, der Departamentschefin der Defensoría del Pueblo im Beni, in einer viersitzigen Maschine, in die auch noch ein Kameramann und der Pilot passten, nach Misión Fatima am Fluss Maniqui auf. Das Dorf, das bis heute nicht über eine Straße zu erreichen ist, hatte in den fünfziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts ein französischer Missionar gegründet, der längst gestorben ist. Eine Kirche, das bescheidene Klosterhaus, eine Schule, ein Buschkrankenhaus, ein paar Tsimane-Familien und Don Pepe, ein spanischer Arzt.

Nach einem Interview mit Don Pepe setzten wir uns in einen Einbaum mit 40-PS-Motor. Unsere Bootsfahrt Richtung Norden endete allerdings schnell: Mangels Wasser und wegen einem der berüchtigten Südwinde mit Regen, Gewitter und Hagel mussten wir nach einer halben Stunde umkehren. Vollkommen durchnässt, fanden wir bei den drei Schwestern im Konvent von Misión Fatima ein Abendessen, trockener Reis mit Spiegelei, und Aufnahme für die Nacht.



Interview zu Hause bei Don Pepe (rechts).

Anderntags brachen wir dann wirklich auf. Zusammen mit drei Tsimane, die uns als Motorist und Übersetzer behilflich waren. Acht Stunden dauerte die Fahrt flußaufwärts bis zum Dorf Cuchisama. Währenddessen wuschen wir die verdreckte Wäsche des Vortags im Fluß, begutachteten die prekären verlassenen Bauten aus dünnen Stecken am Ufer, durchnässten uns bis zur Brust beim Schieben des Einbaums über die seichten Stellen und aßen fritierte und gestampfte Banane, die mit ein bisschen Trockenfleisch vermischt war und Selva vorbereitet hatte.


Felipe, den Einbaum über eine seichte Stelle navigierend.


Gonzalo beim Wäschewaschen.

Cuchisama ist eine Ansammlung von zehn Hütten im Nichts mit verstreut lebenden Familien im Dschungel, in der wir uns zwei Tage lang von Fisch ernährten und Interwies, Umfragen und statistische Erhebungen durchführten mit Menschen, die kein Wort Spanisch sprechen. Sie berichteten von den Problemen, die wir in den folgenden Tagen in jedem der folgenden Dörfer zu Ohren bekamen.


Geflochtene Jatata.


Tsimane im tradionellen Gewand und mit frisch geernteter Jatata auf dem Rücken.


Schuldenzettel. Auch die kleine Juanita schuldet schon.

Die Tsimane schneiden eine Pflanze, Jatata, aus der sie Dachbedeckungen flechten, die im ganzen Tiefland benutzt werden. Die tauschen sie bei Flußhändlern aus San Borja gegen Dinge ein, die es im Dschungel nicht gibt: Kleidung, Nudeln, Seife, Batterien, Süßigkeiten, Buschmesser. Dabei werden sie doppelt beschissen. Zum einen veranschlagen die Händler einen unverschämten Preis für ihre Ware, zum anderen aber einen Bruchteil für die Jatata. Sie verschulden siebenjährige Kinder, vergewaltigen Frauen und Mädchen, prügeln die Männer mit Stöcken und führen ein Schreckensregiment in dem Indigenen-Territorium, in dem sie eigentlich gar nichts zu suchen haben.

Außerdem dringen Goldsucher in das Gebiet ein und verseuchen den Fluss, die einzige Wasserquelle, mit Quecksilber. Holzfäller holen aus dem Wald, was an ordentlichem Material noch zu holen ist - alle wertvollen Tropenhölzer wurden bereits in den 80er Jahren illegal gefällt.



Goldsucher in einem Nebenarm des Río Maniqui.


Daneben die Maschine zum Trennen von Stein und Gold.


Toter Fisch, verendet am Quecksilber.


Vermittlungsgespräch mit Flusshändler und Tsimane.

Die Tsimane aber sind ein sehr friedvolles Volk. Sie zetteln keinen Krieg an. Der Rat der Tsimane beschwerte sich im vergangenen Jahr das erste Mal bei der Defensoría del Pueblo, recht zurückhaltend. Die Institution leitete deshalb eine "Untersuchung von Amts wegen" ein. Der Grund für unsere neuntägige Abenteuerreise durch den Dschungel.

Für die mein Chef nicht wirklich vorbereitet war, wie man dazu sagen muss.

"Ursula, hast Du mal Klopapier für mich?" - "Ursula, kannst Du mir mal Dein Shampoo leihen?" - "Sag mal, Ursula, warum hast Du denn einen so dicken Rucksack dabei? Essen? Nein, Essen habe ich keines mitgenommen!"

Klopapier bekam er von mir abgezählt in die Hand gedrückt, statt Shampoo leihte ich ihm nur die Seife, und dann zwangen Selva und ich ihn, uns bei den Tsimane Hühner zu kaufen fürs Abendessen. Was dazu führte, dass in Emeya das ganze Dorf mit Pfeil und Bogen auf zwei Hühner losging und das widerspenstige, das tot in den Dschungel geflohen war, irgendwann auch wieder einfing.

Außer Hühnern gab es allerdings auch weniger angenehme Tier. Wie viele verschiedene Sorten Mücken dort existieren, bekam ich bis zum Schluss nicht raus. Drei konnte ich anhand der Art der Stiche identifizieren, von denen ich hinterher übersät war: mosquitos, claro, dann die Jejeine und die Marihui. Ob auch die dabei waren, die Leishmaniose verursachen, will ich lieber nicht wissen.

Im Fluss lauern außerdem die Rochen, die mit ihren Stacheln tiefe und schlecht heilende Wunden verursachen. Dann wären da noch die Giftschlangen. Allein auf einem anderthalbstündigen Marsch durch den Dschungel zu einem Flusshändler-Lager tötete der vorausgehende Tsimane zwei davon, deren Kadaver noch beim Rückweg zum Himmel stanken. Und auf einem anderen Marsch durch den Busch auf dem Weg zu den Goldsuchern machte ich Bekanntschaft mit der Buna.

Die Buna ist eine Ameise, deren Biss Fieber und Lähmungen verursacht und außerordentlich schmerzhaft ist. In die Details will ich da nicht gehen. Von der Stirnhöhlenentzündung, die ich mir schon am ersten Tag der Reise geholt hatte, gar nicht mehr sprechen. Damit hob ich mich ohnehin nicht stark von den Tsimane ab, die alle an Schnupfen, Fieber, Bronchitis und Durchfall litten. Ich war nur froh, dass die Spinne unseren Kameramann und nicht mich erwischt hatte. Eduardo hatte tagelang ein daumengroßes weißes Geschwür im Gesicht.



Der Dorfvogt von Cuchisama mit dem Fang des Tages.



In Emeya deckten sie gerade das Dach der Schule neu.


Großfamilie von Dunoy.



Die Männer von Cuchisama beim Fischen.



Die Kinder von Cuchisama in der Schule - mit einem Lehrer, der kein Wort Tsiman spricht.



Mädchen in Cuchisama.



Mein Bett in einer leeren Hütte in Catumare.


Küche und Esszimmer einer Familie in Catumare.



Mädchen in Catumare.



Don Angelito und Ehefrau in Anachere.



Schmetterlinge am Flussstrand.

Mit dem gleichen Sportflugzeug, das uns nach Misión Fatima gebracht hatte, entflohen wir neun Tage später dem Dschungel. In San Borja informierten Selva und Gonzalo in einem Pressegespräch über die Ergebnisse der Reise, damit auch ein neuer Defensor nicht mehr zurückrudern konnte - trotz aller politischen Komponenten der Recherche. Und mit meinem Kollegen Héctor, der in einer anderen Gruppe Misión Fatima flussabwärts recherchiert hatte, gönnten wir uns noch am selben Abend einen ordentlichen Teller Grillfleisch mit Bier.

Bis Ende des Jahres wird der Bericht der Defensoría del Pueblo veröffentlicht mit den Empfehlungen an die staatlichen Stellen. Erste Diskussionen darüber gab es noch am selben Abend beim Hüftsteak. Philosophische Fragen über die Welt, die Menschen und das Elend - die am Ende dann aber wie so oft ohne wirkliche Antwort blieben.



Héctor, ich und Gonzalo nach der Reise am Flughafen von San Borja.

Samstag, 17. April 2010

Das wahre Gesicht



Ob Caporal, Diablada oder Morenada - die Bolivianer tanzen gerne, in den Anden und im Tiefland. Die meisten dieser Tänze bergen Anspielungen auf die Eroberung durch die Spanier und kommen nicht ohne ausladende Kostüme und Masken aus. Das Museum für Ethnografie und Folklore in La Paz hat in einer wunderbaren Dauer-Ausstellung einige dieser Masken zusammengestellt.