Mittwoch, 30. März 2005

Weihrauchschwaden












Die letzten Traenengasschwaden hatten sich gerade aufgeloest, da begannen die Weihrauchwolken durch die Strassen zu wabern. In der Osterwoche zogen Prozessionen lila und schwarz gekleideter Kaputzenmaenner zu Dutzenden und zu jeder Tages- und Nachtzeit durch die Stadt, Frauen und Maenner muehten sich auf ihren Schultern mit lastwagengrossen Aufbauten fuer die Heiligenfiguren ab. Aber nun ist wieder Ruhe eingekehrt, und selbst die Sonne goennt sich eine Pause. Feine Regentropfen fallen aus einem schwarzen Himmel, der ganz meinem inneren Zustand gleicht. Es steht die Heimreise an.

Sonntag, 20. März 2005

In Zone 12

Das Frauenprojekt UPAVIM





Mittwoch, 16. März 2005

War da was?

Trotz meines Schweigens in den vergangenen Wochen: Es gibt mich noch. Und so schicke ich Euch diesmal ein paar Schlaglichter aus dem Leben guatemaltekischer Bauern und den Straßenschlachten der vergangenen Tage in der Hauptstadt.

In einem kleinen Weiler nahe Chichicastenango, vier Stunden von der Hauptstadt entfernt, werden demnächst Opfer von Massakern der 80er Jahre exhumiert. Militärs und ihre Helfer löschten zum Teil ganze Dörfer aus, wenn sie den Verdacht hatten, dass diese auf der Seite der Guerillas stehen könnten.


Die Initiative für die Exhumierung in Lacamá geht auf José zurück, dessen Bruder entführt, erschossen und irgendwo verscharrt wurde. Der Mittvierziger stockt immer wieder in seinem Bericht, blickt weg und hält nur mühsam die Tränen zurück. Drei geheime Gräber wurden in diesem Quiche-Dorf im letzten Jahr schon ausgehoben: einmal zwei Frauen und zwölf Kinder, ein andermal ein Mann mit seinen drei Kindern, schließlich sieben weitere Leichen. Die Überreste von Josés Bruder waren nicht darunter.


Einige der Mörder, Mitglieder einer paramilitärischen Patrouille, leben heute noch im Dorf. Mit einer Mischung aus Schmerz und Wut erzählt José, dass diese wissen, wo sein Bruder verscharrt wurde. Aber sie wollen es nicht sagen. Sie haben Angst vor einem Prozess. Dabei will José gar niemanden verklagen. Er will nur, dass sein Bruder wenigstens in einem ordentlichen Grab bestattet wird. Dass sein Schmerz nach so vielen Jahren des Schweigens einen Ausdruck findet.


In einem kleinen Dorf nördlich der Hauptstadt treffen sich seit zwei Jahren einmal im Monat unter sozialpsychologischer Führung zwanzig Katecheten aus den umliegenden Weilern und versuchen sich fortzubilden. Sie analysieren auf lebensnahem Niveau Probleme, die von der blutigen Geschichte oder der jetzigen schwierigen sozialen und politischen Situation herrühren. Versuchen, für ihre kleine Welt Lösungen zu finden.

An diesem Samstagnachmittag sprachen die zwanzig Bauern zwei Stunden lang über Selbstwertgefühl. Wie sie behandelt wurden in ihrer Kindheit, wie sie behandelt wurden während der Militärregime, wie sie ihre Kinder heute behandeln. Was ihnen Selbstwertgefühl gibt. „Wenn der Mais gut wächst, sind wir glücklich“, sagte einer von ihnen. Der Mais hat eine besondere Bedeutung: „Mit der Erde handelt man nicht. Die Erde ist unsere Mutter, und wir sind der Mais.“

Die Kolonialherren hat das nicht interessiert, bis heute besitzen ein paar wenige Finceros praktisch die Gesamtheit der Flächen, zumindest der fruchtbaren. Viele Titel basieren auf gefälschten Dokumenten. Oft grasen auf Riesenfeldern zwei Kühe, manchmal wird das Land auch gar nicht genutzt. Die Bauern sterben derweil an Unterernährung, weil sie kein Fleckchen finden, auf denen sie ihren Mais und ihre Bohnen anbauen könnten. Manche kommen ab und an als Tagelöhner auf einer der Ländereien unter – für 2,50 Euro am Tag.


Wenn eine Gemeinde gar nicht mehr weiter weiß, besetzt sie manchmal eine Finca. Wenn sie Glück hat und die jahrelangen Verhandlungen durchhält, kauft ein Staatsfond den Grund und verkauft ihn dann an die Bauern weiter. Die rechtliche Vertretung übernimmt die Bauernorganisation CUC, die im Bürgerkrieg Teil der Guerillabewegung war. Regionalvertreter Abelardo macht seinen Job ehrenamtlich, er hat nicht einmal ein Budget für seine Fahrten durch die drei Bezirke, für die er zuständig ist. Sein Posten lässt ihm keine Zeit, seinen Unterhalt für sich und seine Familie zu verdienen. Abgesehen davon, dass er regelmäßig Morddrohungen erhält, ist er darauf angewiesen, dass ihm die Bauern hier einen, dort zwei Euro zustecken.


In der Umgebung der Kleinstadt Morales im Bezirk Izabal im Osten des Landes habe ich mit Abelardo sieben solcher Gemeinden besucht, die um eigenen Grund kämpfen. Die Gegend könnte ein Paradies sein. Weiter Blick in einem breiten Tal zwischen zwei Gebirsgszügen, die sanft in Hügeln auslaufen, grüne Weideflächen, feuchtwarmes Klima. Aber alleine in diesen sieben Weilern wurden in den vergangenen Jahren im Kampf um Land mehr als 30 Bauern ermordet. In den meisten Fällen gibt es Zeugen, wurde Anzeige erstattet. Es kam nicht zu einem einzigen Prozess. Immerhin zwei Haftbefehle wurden ausgeschrieben – und nie vollzogen.


Scheint die Gegend schon idyllisch, die Bauern könnte man geradezu als pitoresk bezeichnen: Cowboyhut und –stiefel, ausgewaschene alte Jeans, offene Hemden, gegerbte Gesichter, athletische Körper. Der Eindruck verfliegt schnell, wenn sie von ihrem Leben erzählen. Der Speiseplan besteht zu weiten Teilen aus Tortilla mit Salz. Wegen des besonderen Anlasses hatten die Frauen an diesem Tag ein paar fleischlose, fettreiche und flacksige Rinderknochen gekocht, die sie mit Reis servierten. „Bitte nur einen kleinen Löffel“, sagte ich und hatte übersehen, dass es mehr ohnehin für keinen gab.


Damit sich auch diese armseligen Bauern aus ihrer Misere befreien und an der Globalisierung teilhaben können, hat die neoliberale und unternehmensnahe Regierung mit den USA ein Freihandelsabkommen (TLC oder CAFTA) geschlossen. Im Effekt werden die Kleinbauern in ihren Dörfern ohne ordentliche Wasserversorgung, Schulen, Gesundheitsversorgung und Strom mit ihren Bohnen und ihrem Mais nicht gegen die staatlich subventionierten Produkte aus Nordamerika konkurrieren können.


Deshalb gab es eine ganze Woche voller Demonstrationen hier in der Hauptstadt, an denen sich außer Bauern auch Indígenas und Sozialorganisationen, Studenten und Gewerkschaften, Fraueninitiativen und Lehrer beteiligten. Am ersten Tag gelangten die Protestierenden noch bis zum Kongress hier in der Altstadt, wo sie ohne Erfolg um ein Gespräch mit der Regierung baten. Aber schon am zweiten Tag wurde das Gebäude großräumig abgesperrt, damit die Abgeordneten drinnen ungestört und in aller Eile den Vertrag ratifizieren konnten. Zum Wohl des Volkes.

Das rief für vergangenen Montag den Generalstreik aus und sperrte im ganzen Land Straßen. Die Massendemonstration hier in der Hauptstadt wurde mittags ohne Ankündigung durch Tränengasbomben, Wasserwerfer, Gummi- und Nagelgeschosse sowie Schüsse in die Luft aufgelöst. Daraufhin entwickelte sich ein Straßenkampf zwischen kleinen Gruppen gewalttätiger TLC-Gegner sowie Spezialkräften der Polizei und des Militärs. Einer der Brennpunkte verlagerte sich wie schon in der Vorwoche in meine Straße, wo Studenten zwei Busse kaperten und gegen Hausmauern sausen ließ.


Nachmittags gegen vier schließlich hatte die Polizei wieder alles unter Kontrolle: Ein Pulk von Spezialkräften auf 40 nagelneuen und auf Hochglanz polierten Motorrädern patrouillierte in Höchstgeschwindigkeit und mit heulenden Sirenen bis in die Nacht durch die Straßen der Innenstadt und stoppte nur, um Menschen festzunehmen. Eine Gruppe von friedlichen Bauernanführern entging diesem Schicksal nur, weil sie Zuflucht beim Regierungsbevollmächtigten für Menschenrechte fand. Ich verzog mich derweil endgültig in meine Wohnung.


Immer wieder breiten Journalisten in allen möglichen Zeitungen ihre Besorgnis darüber aus, dass Lateinamerika wieder bedenklich nach links rutscht. Wen wundert das? In Guatemala allerdings braucht sich keiner davor zu fürchten, dass aus dem Protest gegen den Freihandelsvertrag eine Guerrillabewegung wächst, wie es 1994 in Chiapas geschah. Die Menschen hier sind des Blutvergießens müde. Und das Potential an Oppositionsführern ist in über 30 Jahren Bürgerkrieg ohnehin so systematisch ermordet worden, dass es lange dauern wird, bis sich diese Lücke wieder schließen wird.