Samstag, 9. April 2005

Mitten in Guatemala

Es gibt Orte, an denen man lernt, den Lärm von Feuerwerkskrachern und Gewehrschüssen zu unterscheiden. Guatemala-Stadt ist so einer. Da verlässt man täglich das Haus in der Gewissheit, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis es einen erwischt. Mord, Raub, Entführung, Vergewaltigung sind an der Tagesordnung. Ein jeder versucht also, sich auf seine Art zu schützen.

Donã Milagro, eine ältere Dame aus der besseren Mittelschicht, fährt nur mit dem eigenen Auto. „Taxi oder Bus, das ist die Wahl zwischen Teufel und Belzebub“, sagt die resolute Hausverwalterin. Wer ins falsche Taxi steigt, landet dort, wo Jugendliche mit Uzis und AK47 die Straßen beherrschen. Nähere Bekanntschaft lässt sich mit ihnen schnell auch in Bussen machen. Bewaffnete Überfälle dort sind alltäglich. Kürzlich gestand ein Journalist seinen Tick, bei jedem Halt abzuspringen und einsteigende Fahrgäste zu taxieren.

So ein Überfall kann schon mal zweieinhalb Stunden dauern. Schuhe sind dann als Versteck für den Notgroschen nicht geeignet. Die sammeln die Räuber zusammen mit den Strümpfen ein. Es empfiehlt sich aber, ein Minimum an Barem griffbereit zu halten, um niemanden unnötig zu provozieren. Kleingeld ist auch für andere Fälle nicht schlecht. Jeder holt gerne ein paar Centavos aus der Tasche, wenn wieder ein junger Mann einsteigt und Bonbons verteilt. „Ich könnte euch auch überfallen“, lautet der Standardsatz. Herumliegende Plastiktüten sollten Fahrgäste nie anfassen. Jüngst fand ein Busreisender einen abgeschnittener Frauenkopf in solch einer Tüte.

„Man traut sich gar nicht mehr aus dem Haus“, sagte Doña Milagro anderntags. Abends schon gar nicht. Mit ihren Freundinnen trifft sie sich daher nur noch mittags. Als die beleibte Witwe kürzlich von einem Termin erst um halb acht zurückkehrte, legte sie die Meter zwischen Garage und Haustür im Laufschritt zurück. Auch andere Guatemalteken blicken bei Veranstaltungen um sechs schon nervös auf die Uhr und sagen: „Es ist schon ganz schön spät.“

Wer um diese Uhrzeit im Zentrum noch etwas essen möchte, muss sich sputen. Dort schließt sogar McDonald’s früher als anderswo, und ab sieben, wenn Straßenhändler ihre Stände abbauen und Obdachlosen ihre Kartons auf dem Gehsteig ausgebreitet haben, ziehen die meisten Lokale ihre Rollläden herunter. Abendvorstellungen im Kino gibt es nicht, und in der Bodeguita del Centro, einer der wenigen Bars in der Innenstadt, spielen Musiker meist im leeren Lokal.

Doña Milagro hat nicht nur ihren Tagesablauf verändert. Ihre Neigung zu auffälligen Ohrgehängen lebt die Hausverwalterin nur noch in ihren eigenen vier Wänden aus. Ein Straßenhändler hatte ihr zuvor im Vorbeigehen nachgerufen: „Die traut sich was.“ Sie trug Modeschmuck, den sie für etwa einen Dollar auf dem Markt gekauft hatte. Selbst untertags geht sie nur mit ein paar Quetzals auf die Straße. Wer öffentlich einen Hunderter zeigt, umgerechnet sind das zehn Euro, macht sich des Leichtsinns schuldig. Und Wechselgeld gibt es nicht einmal für einen Fünfer.

Wer aber doch in die Verlegenheit kommt, einen größeren Betrag mit sich führen zu müssen, dem bleibt nur die Unterwäsche. Selbst in besseren Geschäften zaubern Frauen die Scheine zwischen ihren Brüsten hervor. Wem es vor den stinkenden Fetzen auf der Haut ekelt: Straßenhändler verkaufen Unterwäsche mit integrierten Geldscheintaschen.

Freitag, 8. April 2005

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