Dienstag, 30. Juni 2009

Scherben bringen Glück

Heute hat der Gockel sein Zeitliches gesegnet. Das kleine Keramiktier, das mir meine beiden Mitbewohnerinnen vom Alasitas-Fest (siehe Januar) mitgebracht hatten, damit ich auch noch einen Mann abkriege, ist in tausend kleine Scherben zersprungen. Ob das wohl was zu bedeuten hat?

Donnerstag, 25. Juni 2009

Nochmal 15 sein

Don Julian mischte etwas umständlich die speckigen Tarotkarten mit den andinen Zeichnungen. Der 71-Jährige murmelte ein Gebet auf Aymara zum Tataweißnichtwen und fächerte die Karten in seinen dunklen Händen auf. 15 musste ich ziehen. Ein besonderes Anliegen hingegen musste ich nicht haben. „Alles in einem: Gesundheit, Liebe, Geschäfte“, sagte Don Julian und legte die Karten auf das handgewebte Tuch über der Holzkiste.

Es war Sankt Peter und Paul. Den beiden Heiligen ist die Kirche gewidmet gegenüber dem Büro der Defensoría del Pueblo in La Paz, am Hauptplatz des Viertels San Pedro. Schon morgens, als ich mir meine Frühstücks-Salteña in der Bäckerei „Der gute Geschmack“ an der Ecke holte, standen die Menschen bei den Yatiris Schlange, die sich angesichts des Tages der beiden Heiligen dort auf dem Gehsteig niedergelassen hatten.

Ein Yatiri ist einer von vielen Sorten Wunderheiler, Pflanzenkundiger, Scharlatan, Schamane, Weiser, für die es zig Namen gibt, die höchstens in einem anthropologischen Lexikon zu finden sind: Amautas, Kallawayas, Pacu. Sie hatten sich auf dem Gehsteig aufgebaut mit ihren Arbeitsinstrumenten: Die einen lesen aus rohen Eiern die Zukunft, die anderen aus Bier, viele aus Karten, manche hatten Vögel in Käfigen dabei oder einen kleinen Brenner und einen Topf zum Bleigießen. Junge Paare hingen an den Lippen der Zukunftsdeuter. Andere standen darum herum und lauschten neugierig den Vorhersagen für die ihnen fremden Menschen.

Bei Don Julian stand niemand an oder gar herum. Der ledrige Alte deckte die erste Karte auf und erklärte ausführlich, warum ich mir keine Gedanken um einen frühen Tod machen müsste. Dann sprach er von Reisen und Schreiben, von guten Geschäften und dass ich keine Hochzeit bräuchte, den Segen von oben hätte ich schon. Von Karte zu Karte wurden seine Erklärungen kürzer. Schließlich driftete er endgültig zu einem Themen ab, das ihm sichtlich mehr am Herzen lag als meine Zukunft: die Zukunft seines Landes.

El cambio. Der politische Umbruch in Bolivien. El campesinato. Die Bauern, die endlich auf ein besseres Leben hoffen dürften. El bono Juana Azurduy de Padilla. Das Muttergeld, das die Regierung kürzlich eingeführt hat. La Renta Dignidad. Die 300 Euro Jahresmindestrente für alle. El bono Juancito Pinto. Die Unterstützung, die Kinder aus armen Familien erhalten, um Schuluniform, Papier, Stifte und Bücher zu kaufen. Und überhaupt die Kinder. Dass die endlich zur Schule gehen können.

Don Julian erwähnte den Namen Evo Morales nicht einmal, aber die Identifikation mit Boliviens Präsidenten sprach aus jedem seiner Worte. „Ich wäre gerne nochmal 15, um den politischen Umbruch voll erleben zu können“, schloss der Yatiri euphorisch. „Aber dafür bin ich leider schon zu alt.“ Mit diesen Worten deckte er die letzte Karte auf, auch diese ein gutes Zeichen für mich. Aber schön, wenn nicht nur ich hoffnungsfroh in die Zukunft schauen kann.

Dienstag, 23. Juni 2009

Prost Neujahr!

An manchen Orten gehend die Uhren anders. In den Anden zum Beispiel. Am Sonntag, 21. Juni, begrüßten die Aymara den Beginn des Jahres 5517. Weil diese Nacht gleichzeitig die kälteste sein soll, verzichtete ich darauf, mit 40.000 anderen Menschen zu den Ruinen von Tiwanaku zu fahren und die ersten Sonnenstrahlen zu zelebrieren. Ich begnügte mich mit der freudigen Nachricht, dass Evo diesen Tag zum Feiertag erklärt hat.
Die christliche Version des Festes, die die Spanier eingeführt haben, stand heute an. Sie heißt San Juan und wurde nicht zum Feiertag erklärt. Weil die Stadtverwaltung außerdem das Abbrennen von Autoreifen verboten hat, um zu verhindern, dass La Paz tagelang in einer Rauchwolke versinkt, begnügen sich die Pazeñer inzwischen damit, an diesem Tag daheim Würstel zu essen.
Gudrun und ich gingen - wie immer am Dienstag und Donnerstag und machmal auch samstags - in das Fitness-Studie zu unserer Pilates-Stunde. Zur Feier des Tages begleitete uns unser Profe Luis hinterher auf ein Bier. Dabei stellten wir fest, dass wir ihn furchtbar unterschätzt hatten. Er hat nicht nur Muskeln, er hat auch Hirn und Witz: Der 29-Jährige ist Traumatologe, arbeitet im größten Kinderkrankenhaus in La Paz, hat eine eigene Praxis und gibt nebenbei Geburtsvorbereitungskurse, über die er ziemlich unterhaltsam zu erzählen weiß. Der Typ hätte glatt Kabarettist werden können...

Samstag, 6. Juni 2009

La Entrada del Gran Poder


Was 1939 als Lichterprozession mit der Statue des "Christus der großen Kraft" begann, ist heute das größte Spektakel im Veranstaltungskalender der Stadt: Dutzende Bruderschaften ziehen bei dem Festival den ganzen Tag über in Kostümen und tanzend durch die Straßen von La Paz und würdigen dem "Señor del Gran Poder". Ein weltliches Spektakel mit religiösem Hintergrund. Manche der tanzenden Cholas sind derart reich behängt mit Schmuck, dass sie dafür extra einen Bodyguard engagieren. Bier gibt es außerdem auch reichlich - was man ab Mittag etwa zu bemerken beginnt.