Samstag, 21. August 2004

Im Dschungel






Gerade hat mir wieder jemand die Rechnung für Strom, Abfall und Feuerwehr unter der Tür durchgeschoben, und während von draußen Verkehrslärm, die Stimme eines Verkäufers und das Klopfen eines Straßenarbeiters in meine Wohnung dringt, denke ich mit Sehnsucht an meine letzte Reise, deren Eindrücke immer noch anhalten. Wenn mich einmal in meinem Leben das Bedürfnis packen sollte, dieser Zivilisation ganz den Rücken zu kehren, dann weiß ich jetzt, wohin ich gehen werde – wenn es denn den Ort so dann noch geben sollte. Er heißt Sarayaku, liegt im Distrikt Pastaza am Rande des ecuadorianischen Amazonas-Gebietes im Südosten des Landes und ist von der nächstgrößeren Stadt namens Puyo nur mit Kanu oder Flugzeug zu erreichen: zwei Tage auf dem Rio Bobonaza oder eine halbe Stunde in einer viersitzigen Cessna.






Vor etwa 80 Jahren hat Sarayaku die evangelischen Missionare zum Teufel gehauen, seit 15 Jahren kämpfen die 200 Quechua-Familien nun dagegen, dass auf ihrem Territorium eine ausländische Firma mit der Ölausbeutung beginnt. Der Staat hat den Indiandern zwar ihr Stammesgebiet verbrieft, sich aber die Oberhoheit über die Bodenschätze vorbehalten. Die Indianer wissen, wie es im Norden des ecuadorianischen Amazonas-Gebietes aussieht, wo Texaco beträchtliche Umweltschäden angerichtet hat, die gerade vor Gericht verhandelt werden, und die Ankunft der Öl-Arbeiter in der Regel das Ende der indianischen Lebensweise und Kultur bedeutete (diese Gegend wird Ziel meiner nächsten Recherchereise in Ecuador).






In den vergangenen zwei Jahren hat sich der Kampf Sarayakus erheblich zugespitzt: Ein Shaman wurde ermordet, es gibt mehrere ungeklärte Todesfälle in der Gemeinschaft, Bedrohungen mit Schusswaffen und Morddrohungen, nicht nur gegen Mitglieder der Gemeinde, sondern auch gegen Mitarbeiter von Organisationen, die Sarayaku unterstützen. Unter anderem befasste sich Amnistía in sieben acciones urgentes mit dem Fall sowie der interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte. Die Zone ist militarisiert, der Fluss wird immer wieder von Soldaten und Ölarbeitern geperrt, und offenbar gibt es ein Ultimatum an die Indianer, das – so wird gemunkelt - nächsten Dienstag ausläuft. Weiß Gott, was dann passieren wird. Hoffentlich nicht, was ich kürzlich geträumt habe: dass Soldaten ein Massaker in der Kommune anrichten.

Die Menschen in Sarayaku sind rebellisch und verständlicherweise ziemlich misstrauisch. Als ich mit Claude aus Belgien, einer Kollegin aus dem Büro von Amnistía, Linda aus Finnland, die bei einer Indigena-Organisation arbeitet, und einem 50-Kilo-Sack mit Lebensmitteln morgens auf der Piste des Dorfes landete, wurden wir nicht unbedingt freundlich empfangen. Mario Santi, der Bruder des Gemeinde-Präsidenten und Chef des Aktionsbüros des Dorfes in Puyo, hatte vergessen, unsere Ankunft per Radio durchzusagen. Telefon gibt es im Urwald ebensowenig wie Strom, Handys funktionieren nicht.

Also nahm uns Franco Viteri, ehemaliger Gemeinde-Präsident, in seinem Haus bei einer Runde Chicha de Yuca erst einmal ins Kreuzverhör. Chicha ist ein alkoholhaltiges Gebräu. Die Frauen kauen gekochte Maniokwurzeln und spucken sie wieder aus, mischen das Zeugs mit Wasser und servieren es dann aus einem großen Ton-Behälter in einer Kokosnuss-Schale. In diesem Fall übernahm das Servieren Viteris Tante. Claude und Linda winkten nach einem Schluck ab, aber bei mir – jeweils die Letzte in der Runde - setzte die Frau trotz meiner Bitten die Schale einfach nicht ab. Ich musste sie komplett leeren. Nach drei Runden war ich nicht mehr ganz nüchtern und hatte obendrein Mühe, meinen Mageninhalt zu behalten.






Das also war der Empfang. Nach einer guten Stunde hatten wir Viteri so weit überzeugt, dass wir keine Spione sind, wurden angewiesen, unter keinen Umständen und nirgends im Ort Getränkeeinladungen zu akzeptieren, und kamen in die Obhut von Gerardo Gualinga. Im Haus seiner absolut beeindruckenden Familie verbrachten wir die drei Tage unseres Aufenthaltes. Gerardo ist 25 Jahre alt und arbeitet als einer der wenigen der Kommune richtig bezahlt. Die Sarayaku-eigene Reiseagentur beschäftigt ihn als Touristenführer im Ort und in einer Shua-Gemeinschaft etliche Kilometer weiter südlich. Ja, man kann – nicht viele tun es - als Tourist nach Sarayaku kommen – wenn man sich denn an bestimmte Dinge gewöhnt. Wäre man zynisch, würde man sagen: Das Leben im Ort ist wie Dauercampen ohne Campingplatz. Unsereiner würde nicht einmal mit einem Survival-Handbuch lange alleine überleben.






Es gibt also keinen Strom, weshalb man bei Kerzenlicht zu Abend isst und dann früh ins Bett geht. Es gibt kein Bad, weswegen man zum Waschen an einen 500 Meter entfernten kleinen Bach geht, aus dem die Indígenas auch ihr Trinkwasser holen. Es gibt kein Klo, weshalb ein Ort an einem anderen kleinen Fluss für diese Bedürfnisse aufgesucht wird, was besonders nachts ein Vergnügen ist. Das Toilettenpapier bringt man wieder mit und verbrennt es in der Küche. Die Küche sind die Enden dreier großer Baumstämme, zwischen denen ein kleines Feuer glimmt – mitten im Haus. Das Haus besteht aus gestampftem Boden und einem Holzdach auf Stelzen, manchmal mit einer Art schulterhohem Holzzaun rundum. Die Straßen sind Trampelpfade durch den Urwald, die sich bei Regen in Schlammpfützen verwandeln. Weswegen die Indígenas entweder Gummistiefel oder gar keine Schuhe tragen. Das Essen: Was man im mehrere Meter breiten Rio Bobonaza fischt, mit Lanze oder Gewehr jagt, im mitunter zwei Stunden Fußmarsch entfernten Feld anbaut, hauptsächlich Yuca, Banane, Mais, und was sonst so vom Baum fällt.






Das Leben in Sarayaku sieht für unsereiner aus wie dauernder Müßiggang, besonders wenn man die Männer nach einer Runde Chicha in der Hängematte dösen sieht. Aber das Leben ist ziemlich hart, vor allem harte körperliche Arbeit - und voller Gefahren. Von allen Schlangenarten, die es dort gibt (und es gibt etliche), ist nur eine ungefährlich. Mitunter schleichen nachts Pumas um die Häuser und scheuchen die Hunde auf. Im Fluss tummeln sich Piranhas, außerdem gibt es Krokodile, giftige Riesen-Ameisen, Unmengen von Stechmücken, Malaria und Dengue-Fieber, um nur eine kleine Auswahl zu nennen.






Fast alle aus Sarayaku kennen das Leben außerhalb des Dschungels. Viele der Jungen haben in Quito oder Puyo studiert. Inzwischen gibt es sogar im Ort außer einer Schule und einem Gymnasium eine Mini-Uni, die Lehrer ausbildet. Sie wissen, was Europäer und Nordamerikaner unter Entwicklung und Zivilisation verstehen, haben ein Netzwerk über die ganze Welt gespannt, sind ziemlich gut organisiert und ziehen es doch vor, nach der Tradition ihrer Vorfahren zu leben und dieses Leben und ihre Lebensgrundlagen zu verteidigen – und damit auch unsere Lebensgrundlagen, wie sie immer wieder zu Recht betonen: der Amazonas als Lunge der Welt.






Grundlage des Lebens ist die Natur, essentiell ist Solidarität. Samstag ist Minga-Tag, da müssen alle ran zur Gemeinschaftsarbeit, entweder für die Gemeinde oder für eine einzelne Familie. Da werden dann Häuser gebaut, Wasserreservoires repariert oder die Flugzeug-Piste in Stand gesetzt. Samstag ist außerdem der Tag für Fortbildungsseminare. Gefeiert wird sonntags, solange das Chicha reicht, manchmal also bis Montag. Sonntag ist außerdem Versammlungstag – das Leben in Sarayaku ist durch und durch demokratisch organisiert. Die Versammlung fällt alle Entscheidungen. Sie wählt außer dem Gemeinde-Präsidenten Verantwortliche für Gesundheit, für Erziehung, eine Repräsentantin für die Frauen, einen Vertreter für Jugendliche sowie die Leiter der kleinen Solidaritätskasse (die örtliche Kreissparkasse) und wahrscheinlich noch einige Dirigentes mehr, von denen ich gar nichts mitgekriegt habe. Zusätzlich muss in seinem Ortsteil im jährlichen Rhythmus jeder einmal den kuraka übernehmen, das ist der Stock der lokalen Autorität.

Die großen Autoritäten im Dorf sind aber die Schamane, wie Gerardos 82-jähriger Vater. Während die 68-jährige Mutter gerne Geschichten von früher und alte Indianer-Legenden erzählte, schaltete sich Don Sabino eher selten in die Unterhaltungen ein, hörte aber immer sehr aufmerksam zu und machte den Eindruck eines Menschen, der einfach nur in sich ruht. Eines Tages stand er plötzlich mit einer Netztasche vor mir, in der etwas Kleines, eingewickelt in Bananenblätter, lag, und verabschiedete sich mit den Worten, er gehe jetzt zum Kochen in den Dschungel. Don Sabino machte sich auf den Weg, um Ayahuasca zu brauen. Das halluzigene Getränk brauchte er für die Zeremonie am Abend, in der sein Sohn Gerardo seine Seele reinigen ließ. Er hatte mich zwar eingeladen, teilzunehmen, meine Seele konnte ich allerdings nicht reinigen lassen. Sie hatten mir nicht rechtzeitig gesagt, dass man an diesem Tag nichts essen darf und sich vorher ordentlich waschen muss. Die Zeremonie selbst findet in absoluter Dunkelheit statt und beginnt mit stundenlangen Gesängen in Quetchua... Anderntags verschwand der Vater wieder im Urwald, um all die negativen Energien loszuwerden, die er in der Zeremonie auf sich geladen hatte.






Vielleicht sollte er bei seiner nächsten Zeremonie die Seele seines ältesten Sohnes reinigen, der sein Nachfolger als Schaman ist. Mit ihm hatte ich nicht in Sarayaku, sondern erst nach meinem Aufenthalt dort das Vergnügen. Das Zusammentreffen war rein zufällig, aber - das will ich nicht verschweigen - außerordentlich unerquicklich. Als ich bei meiner Rückreise im Hostal in Baños aufwachte, wo wir Zwischenstation gemacht hatten, blickte mich ein Paar dunkler Indianeraugen an. Der 40-jährige Juan nahm mich eine ordentliche Zeit ins Kreuzverhör und versicherte mir, dass man mich schon finden würde, wenn der Gemeinde nicht gefalle, was ich schreibe. Na ja, das darf man nicht so ernst nehmen, der Mann war offenbar betrunken und hat wohl außerdem in seinem Leben schon ein bisschen zu viel Ayahuasca zu sich genommen.

Erst heute habe ich auf einem Juristenkongress in Quito, wo anhand einiger Beispiele über die Rechte der indigenen Völker Amerikas an ihren Territorien gesprochen wurde, Franco Viteri wiedergetroffen. Er war sehr freundlich, und ich gab ihm Abzüge meiner Fotos aus seinem Dorf. Wenn mich also der Nachwuchs-Schaman doch noch verwünschen wollen sollte – Franco Viteri wird hoffentlich rechtzeitig ein gutes Wort für mich einlegen. Eine Einladung für einen erneuten Besuch habe ich ohnehin.

Freitag, 6. August 2004

Hasta la victoria siempre




Wenn durch die Fenster im achten Stock mal wieder Sprechchöre in das Büro von Amnistía dringen, reagiert inzwischen kaum mehr jemand von uns. Wir haben uns daran gewöhnt, dass an manchen Tagen drei verschiedene Demonstrationen im Abstand weniger Stunden über die 10 de Agosto in Richtung Kongress ziehen. Vor einigen Wochen war das täglich der Fall. Die Indígenas wollten wie vor zwei Jahren einen Regierungswechsel erzwingen. Im ganzen Land sperrten sie die Hauptverbindungsstraßen, organisierten Protestmärsche und Arbeitsniederlegungen – dieses Mal allerdings ohne Erfolg. Da der Präsident, dem sie 2002 ins Amt verholfen hatten, schlauerweise Vertreter der Indígenas in seine Regierung geholt hat, sind sie inzwischen so zerstritten, dass sie es nicht mehr schaffen, ihre eigenen Leute, geschweige denn das ganze Land zu mobilisieren. Und wenn nicht die Indígenas über die 10 de Agosto ziehen, fordern dort die Revolutionäre Jugend Ecuadors mit roten Che-Guevara-Fahnen einen besseren Bustransport zur Schule oder die Rentner eine Erhöhung ihrer monatlichen Zuwendung. Die Alten kämpfen inzwischen sogar mit Hungerstreik für mehr Geld, in den vergangenen zwei Wochen sind 14 von ihnen an der Aktion gestorben.

Wenn es also irgendwo Protestkultur gibt, dann hier in Ecuador und in ganz Lateinamerika. Das haben die Latinos in den vergangenen zehn Tagen in zwei Veranstaltungen noch einmal gesondert unter Beweis gestellt. Zuerst haben sich vier Tage lang Vertreter der Indígenas von Alaska bis Feuerland in Quito getroffen, ihre Einheit beschworen, obwohl sie sich im Grunde nicht ausstehen können, und ordentlich mobil gemacht für Chavez und Cuba und gegen Rassismus, Neoliberalismus, Imperialismus, Kapitalismus, die Vereinigten Staaten, Transnationale Firmen, TLC und Globalisierung. Täglich um 5.30 Uhr entzündeten sie auf dem Dach einer katholischen Mädchenschule das heilige Feuer und grüßten die Sonne, Norden und Süden, Osten und Westen, Erde und Himmel und Berge und Bäume und alles, was es sonst noch gibt – jeden Tag nach dem Ritual eines anderen Teil des Kontinents. Dann wurden gemeinsam Erbsen für das Frühstück gepult. „Wer nicht hilft, isst nicht“, schrie Organisatorin Blanka Chancoso und achtete darauf, dass sich keiner der mehreren hundert Teilnehmer und Journalisten drückte.







Anschließend – mit ordentlicher Verspätung von durchschnittlich zwei Stunden – wurde über Autonomie und Selbstbestimmung, Plurinationalität und nachhaltige Entwicklung, über geistiges Eigentum, die Rechte der Indígenas, ihre Teilhabe an Politik und Gesellschaft und deren Militarisierung gesprochen. Was in der Resolution zum Abschluss exakt steht, weiß ich allerdings nicht. Als sich am letzten Tag spätnachmittags die Teilnehmer zu einer Protestkundgebung sammelten, hatten sie die Pressekonferenz einfach ohne Erklärung ausfallen lassen. Auf das Mail, das mir fest versprochen wurde, warte ich bis heute. So sind sie, die Latinos – wenn man denn die Indígenas als Latinos bezeichnen kann. Dafür habe ich jetzt eine Kontaktadresse in Chiapas/Mexiko, kenne den Chef der größten Indígena-Bewegung in Ecuador und eine der indigenen Führerinnen im Kampf Venezuelas für Chavez.








Die Protestkundgebung der Indígenas am letzten Tag ihrer Zusammenkunft führte zur Plaza San Francisco in der Altstadt, wo übergangslos gerade der nächste Gipfel begann, das Foro Social de las Américas, das Weltsozialforum für den Kontinent, das unter dem Motto stand: „ein anderes Amerika ist möglich“. Nach einem eher kulturellen Auftakt trafen sich mehrere tausend Menschen von Alaska bis Feuerland täglich in drei Universitäten Quitos und im Casa de la Cultura, um dort über Demilitarisierung, Auslandsschulden, Alternativen zur neoliberalen Globalisierung, Welthandel, Menschenrechte, sexuelle Diversität, soziale Bewegungen, Plan Colombia, ALCA, Gleichberechtigung, Weltbank, Friede, Freiheit und Eierkuchen zu reden. Höhepunkt war ein mehr als dreistündiger Marsch durch die gesamte Stadt mit kommunistischen, antikapitalistischen und -imperialistischen Parolen und Sprechgesängen wie „Hu, ha, Chavez no se va“ (Chavez tritt nicht ab) oder „Coca Cola asesina“ (Coca-Cola tötet). Am Anfang gab es an der amerikanischen Botschaft ein bisschen Trubel mit der Polizei, am Ende ein bisschen Reizgas. Aber insgesamt verlief doch alles friedlich. Allerdings ist die Demo-Route nun an den Schmierereien an den Hauswänden zu erkennen.







Von den vielen interessanten Themen und ebenso vielen Sprechblasen, die in den Seminaren, Konferenzen und Workshops des Foros von sich gegeben wurden, habe ich leider nur den kleinsten Teil mitbekommen. Auch am Stand von Amnestía in der Universidad Salesiana war ich eher selten Gast, und wenn dann eher, um mir an den angrenzenden Ständen Ceviche, Empanadas oder Fisch-Kroketten und Schokoladenkuchen zum Mittagessen zu kaufen. Ich war voll und ganz damit beschäftigt, die AI-Delegation aus London, Paraguay, Uruguay, Peru und Argentinien medial zu vermarkten und die Termine zu koordinieren und kämpfte dabei unter anderem ordentlich gegen die Angewohnheit der sieben Frauen, die extra beschafften Mobiltelefone nicht einzuschalten, und ihren Unwillen, jeden Tag um sechs Uhr oder noch früher aufzustehen. Aus irgendeinem Grund machen Radios und Fernsehstationen ihre Interviews immerzu morgens zu fast nachtschlafener Zeit. So verging also kein Tag, an dem ich nicht spätestens um sieben im Hotelfoyer stand, um die Damen zu diversen Studios zu begleiten. Während ich dann untertags unzählige 10-Dollar-Karten mit meinem Handy vertelefonierte, besuchten die Delegierten eine Veranstaltungen nach der anderen, um Kontakte zu sammeln. Abends um neun gab es noch mal Besprechung. Und hinterher wollte die Gruppe natürlich etwas essen oder gar ausgehen.



So habe ich es außer zu einem Seminar und einer Videovorführung über den Plan Colombia und einer Versammlung zu dem Thema Frauen in der Indígena-Bewegung nur mit dem Chef von „Opción“ ins Nationaltheater geschafft, um am Festabend für Kuba teilzunehmen. Dort wurden vor 2000 Zuhörern Texte von Fidel und Che gelesen, Reden gehalten, die mit „hasta la victoria siempre“ endeten, rote Fahnen geschwungen, Solidaritätsadressen für die fünf inhaftierten Cubaner in den USA abgegeben, und dazwischen durften ein paar alte cubanische Barden schmonzige Lieder singen. Auch wenn eher nüchterne Zeitgenossen in Deutschland jetzt lachen mögen, aber nach all dem Zynismus in Europa ist so ein bisschen linker Idealismus in Lateinamerika doch sehr erfrischend. Ehrlich gesagt, der Abend war richtig ergreifend. Hier muss man sich nicht für sein bisschen laues Links-Sein schämen, hier muss man sich höchstens für seinen Mangel an Radikalität genieren.




Zum Abschluss des Foros am vergangenen Freitag habe ich es schließlich noch fertiggebracht, dass der deutsche Botschafter den Stand von Amnistía besuchte und dort seine Unterstützung für unsere Kampagne „Stoppt Gewalt gegen Frauen“ zum Ausdruck brachte, indem er unter diesem Slogan seinen Handabdruck in Farbe auf einem großen Leintuch verewigte – neben vielen anderen farbigen Handabdrucken. Und ein Gespräch mit einer der Delegierten aus London führte, das diese in den siebten Himmel versetzte. „Zum ersten Mal ist es passiert, dass jemand anbietet: Sag, was ich machen soll, und ich mache es“, schwärmte die Spanierin. Einziges Manko der Aktion: Trotz hoch und heiliger Versprechungen sämtlicher Tageszeitungen in Quito ist natürlich kein einziger Journalist erschienen. Wie auch – als Redakteurin hätte mich das auch nicht interessiert.




Aber ich war zu diesem Zeitpunkt ohnehin schon nicht mehr ganz Herr meiner Sinne. Die Woche war ziemlich anstrengend gewesen. Unter anderem habe ich – außerhalb des Foros – ein Interview mit der Tochter von Che Guevara geführt. Und zu allem Überfluss war ich am Vortag bis sechs Uhr morgens unterwegs gewesen, um nach drei Stunden Schlaf aufzustehen und einen Artikel für „Opción“ zu schreiben. Als sich dann am Freitagabend in der Disko die 24-jährige Amelie schon um eins verabschiedete und ich – inzwischen wieder topfit – eine dumme Bemerkung machte, von wegen Jugend und so, antwortete die französische Kollegin frech: „Wenn Du so weitermachst, wirst Du dieses Jahr in Lateinamerika nicht überleben.“ Ich hoffe natürlich schon.