Freitag, 29. Januar 2010

Besuch in der Hauptstadt

Es hat genau 16 Monate gedauert, bis mich eine meiner Reisen in die Hauptstadt Boliviens führte - nach Sucre. Die Kolonialstadt wurde in den neunziger Jahren von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt, und auf dem Hauptplatz ist das "Haus der Freiheit" zu besichtigen, in dem 1825 Boliviens Unabhängigkeitserklärung unterzeichnet wurde. In der Stadt, die auf 2900 Metern liegt, wird außerdem die beste Schokolade des Landes hergestellt.

Die Beziehungen zum Regierungssitz La Paz sind alles andere als einfach. Als es im November 2007 zurzeit der verfassungsgebenden Versammlung darum ging, Sucre den Status als Hauptstadt zu nehmen, da entzündete sich ein gewaltsamer Protest, der mit drei Toten und 200 Verletzten endete. Aufgrund des Konflikts musste die verfassungsgebende Versammlung für ihre Sitzungen in einen Militärkomplex umziehen.

Im Juni 2008 verhinderte eine Menge auf gewaltsame Weise den Besuch von Präsident Evo Morales in der Stadt und zwang auf dem Hauptplatz 18 Bauern, den Oberkörper zu entblößen und der Zentralregierung abzuschwören.

Die konservativen Kräfte sind auch heute noch in Sucre am Werk, das läßt sich sogar in den Straßen erkennen. Auf einem Plakat ist in Anspielung auf den tiefgreifenden Staatsumbau, den Evo Morales in Angriff genommen hat, zu lesen: "Prozess der Veränderung? Nein! Veränderung des Prozesses!"


Sonntag, 24. Januar 2010

Rauchen für das Glück

Der Ekeko ist eine häßliche kleine Cholo-Figur. Was er aber an Schönheit nicht aufbieten kann, macht er als Glücksbringer wett. Ihm wird jährlich auf dem Alasitas-Fest gehuldigt, bei dem es alles in Miniaturformat zu kaufen gibt. Der Rundgang über den Markt dauerte auch in diesem Jahr wieder mehrere Stunden.

Nachdem der Gockel, den mir das Fest im vergangenen Januar gebracht hatte, seine Schuldigkeit getan hat, gab es in diesem Jahr den schwer behängten Hausgötzen daselbst. Damit er auch wirkt, muss ich ihm jetzt regelmäßig frische Coca-Blätter hinlegen und donnerstags eine Zigarette anstecken. Allein deswegen hat er einen so großen Mund. Und zum Ekeko gehören natürlich: ein Gesundheitszeugnis, ein Pass, Geld, Flugticket und Visum.


Freitag, 22. Januar 2010

Feiertag



Einen Tag nachdem die Indigenen Evo Morales in Tiahuanaco die Macht übertragen hatten, wurde dieser im Parlament in La Paz vereidigt. Anschließend beobachtete er zusammen mit Vizepräsident Álvaro García Linera und internationalen Gästen vom Balkon des Präsidentenpalastes den Umzug der sozialen Bewegungen, der Polizei und des Militärs auf der Plaza Murillo. Unter anderem waren der spanische Kronprinz, der ecuadorianische Präsident Rafael Correa und die guatemaltekische Friedensnobelpreisträgerin Rigoberta Menchú zu dem Festakt angereist. Den Bolivianern hatte Evo ein Antrittsgeschenk gemacht: Der Tag war zum Feiertag erklärt worden.








Eine neue Ära




Donnerstag, 21. Januar 2010

Geburt eines neuen Staates

"Der Bauernbub, der Präsident wurde, acht Filme auf einer DVD, nur zehn Pesos, das ganze Leben des Präsidenten! Der Bauernbub, der Präsident wurde, acht Filme auf einer DVD, nur zehn Pesos, das ganze Leben des Präsidenten! Der Bauernbub . . ." Der Marktschreier wiederholte den Satz immer wieder, ohne auch nur einmal Luft zu holen, während eine Karawane von MAS-Anhängern, Bauern, Bergbauarbeitern, Mittelstands-Familien und Studenten über die Hochlandwiese an ihm vorbeizog.

Die DVD war ganz neu auf dem Markt. Trotzdem ging das Geschäft an diesem Morgen nicht gut. Die Massen stiefelten eilig weiter, am Militärkordon entlang um Tiahuanaco herum zum Hintereingang der Ausgrabungsstätte. Dort steht das Sonnentor, wo der wiedergewählte bolivianische Präsident Evo Morales nach einem Reinigungs- und Bittritual zum zweiten Mal zum Führer der Indigenen und Boliviens ausgerufen werden sollte. Jeder wollte einen guten Platz ergattern.

Das war allerdings schwer, einige waren schon am Vortag angereist, hatten auf der Wiese vor dem Sonnentor übernachtet und blockierten nun die wenigen Stellen des Geländes, die Sicht auf den Ort des Geschehens erlaubten. Die anderen ließen sich mit ihren wehenden Fahnen in der Senke dahinter nieder, stärkten sich mit Schweinernem oder tanzten zur Musik der Folkloregruppen.

Noch lange bevor Evo und sein Vize Álvaro im Hubschrauber aus dem 75 Kilometer entfernten Regierungssitz anschwebten, begannen mehrere Moderatoren über Mikrofon die Bedeutung Tiahuanacos, des religiösen und administrativen Zentrums einer präinkaischen Kultur am Titicacasee, und des triumphalen Wahlsiegs von Evo für Bolivien und die Welt zu erklären. Die Mischung aus Sozial-, Ethno- und Esokitsch gefiel nicht allen. "Pucha, que huevada!" - "Donnerwetter, was für ein Mist", schimpfte ein Bergarbeiter laut. Der an ihn gedrängte Bauer, der die Tracht seines Andendorfes trug und die Peitsche, die ihn als indigene Autorität ausweist, rückte nur mit einer knappen Geste seinen Hut zurecht und lauschte weiter mit geschlossenen Augen.

Streng anthropologischen Kriterien hielt die Zeremonie der acht Schamanen zum Amtsantritt des Präsidenten wohl tatsächlich nicht stand - und trotzdem war es ein bewegender Moment für Bolivien: Symbol für die Geburt eines neuen Staates, in dem nun die den Ton angeben, die jahrhundertelang von der Gesellschaft ausgeschlossen waren. "Wir mussten 180 Jahre darauf warten, dieselben Rechte zu haben", sagte Evo vor 50.000 Menschen. "Heute stirbt der Kolonialstaat, ein plurinationaler Staat entsteht." Und mahnte: "Die Völker dieser Erde müssen standhaft bleiben und dürfen vor dem Kapitalismus nicht in die Knie gehen."

Aber der Weg zum Sozialismus ist weit. Als die Massen Stunden später wieder nach Hause drängten, plärrte der Marktschreier draußen auf der Andenwiese immer noch, ohne Luft zu holen: "Der Bauernbub, der Präsident wurde, acht Filme auf einer DVD, nur zehn Pesos . . ."































Dienstag, 5. Januar 2010

Historische Vereidigung

Es war einer dieser historischen Augenblicke, von denen Bolivien zurzeit so reich ist. Die neue plurinationale Volksversammlung wurde vereidigt. Tatsächlich hat es die MAS von Evo Morales doch noch auf eine Zweidrittelmehrheit in beiden Kammern geschafft. Die Abgeordneten sind Bergbauarbeiter, Bauern, Indigene, ein Afrobolivianer, zu 95 Prozent politische Neulinge. Zum ersten Mal in der Geschichte Boliviens repräsentiert das Parlament die ethnische Vielfalt des Landes. Mit ihren Ernennungsurkunden in Händen, sichtlich bewegt, tanzten die Abgeordneten nach dem Festakt im Blumenregen ihrer Anhänger. "Die Freude und die Hoffnung sind groß, aber die Verantwortung ist noch größer. Jetzt bleibt uns nichts anderes als zu arbeiten", sagte einer von ihnen. Die Agenda für die ersten Wochen: Zur Umsetzung der neuen Staatsverfassung stehen die Ausarbeitung und Verabschiedung von mehr als hundert Gesetzen an.

Freitag, 1. Januar 2010

Auf ein Neues

Das neue Jahr begann für mich mit einem Eisbeutel am Hirn. Die Beule hatte ich mir aber nicht beim Perreo geholt, das Foto stammt von einer Party im Oktober. Sondern beim Tinku. Tinku ist ein Tanz, bei dem die Männer spezielle Helme, Monteras, verwenden. Die Form der aus Rindsleder gefertigten und mit Federn geschmückten Monteras erinnert an die Helme der spanischen Eroberer. Ich hatte allerdings keinen Helm in der Silversternacht.

Zum Tinku gehört übrigens ein archaisches Fest, das auch Tinku heißt. Jeweils im Mai versammeln sich in einigen Gegenden im Hochland die Dorfgemeinschaften, tanzen, musizieren und kämpfen gegeneinander - mit Lederhelmen, Handschuhen und Steinschleudern. Dass dabei Blut fließt, ist eher normal und von symbolischer Bedeutung, ein Opfer an Pachamama, Mutter Erde. Der Schlagabtausch ist jedoch strikten Regeln unterworfen. In dem Augenblick, in dem die Überlegenheit einer Seite zu deutlich wird, treten die Frauen gruppenweise vor die Männer und bringen den Kampf zum Erliegen.

Das war in der Silvesternacht anders. Nachdem Emanuel und ich mit den Köpfen zusammengestoßen waren und er mir einen Eisbeutel besorgt hatte, ging´s einfach weiter. Was auch sonst? Das Jahr hatte ja gerade erst angefangen . . .