Donnerstag, 21. Januar 2010

Geburt eines neuen Staates

"Der Bauernbub, der Präsident wurde, acht Filme auf einer DVD, nur zehn Pesos, das ganze Leben des Präsidenten! Der Bauernbub, der Präsident wurde, acht Filme auf einer DVD, nur zehn Pesos, das ganze Leben des Präsidenten! Der Bauernbub . . ." Der Marktschreier wiederholte den Satz immer wieder, ohne auch nur einmal Luft zu holen, während eine Karawane von MAS-Anhängern, Bauern, Bergbauarbeitern, Mittelstands-Familien und Studenten über die Hochlandwiese an ihm vorbeizog.

Die DVD war ganz neu auf dem Markt. Trotzdem ging das Geschäft an diesem Morgen nicht gut. Die Massen stiefelten eilig weiter, am Militärkordon entlang um Tiahuanaco herum zum Hintereingang der Ausgrabungsstätte. Dort steht das Sonnentor, wo der wiedergewählte bolivianische Präsident Evo Morales nach einem Reinigungs- und Bittritual zum zweiten Mal zum Führer der Indigenen und Boliviens ausgerufen werden sollte. Jeder wollte einen guten Platz ergattern.

Das war allerdings schwer, einige waren schon am Vortag angereist, hatten auf der Wiese vor dem Sonnentor übernachtet und blockierten nun die wenigen Stellen des Geländes, die Sicht auf den Ort des Geschehens erlaubten. Die anderen ließen sich mit ihren wehenden Fahnen in der Senke dahinter nieder, stärkten sich mit Schweinernem oder tanzten zur Musik der Folkloregruppen.

Noch lange bevor Evo und sein Vize Álvaro im Hubschrauber aus dem 75 Kilometer entfernten Regierungssitz anschwebten, begannen mehrere Moderatoren über Mikrofon die Bedeutung Tiahuanacos, des religiösen und administrativen Zentrums einer präinkaischen Kultur am Titicacasee, und des triumphalen Wahlsiegs von Evo für Bolivien und die Welt zu erklären. Die Mischung aus Sozial-, Ethno- und Esokitsch gefiel nicht allen. "Pucha, que huevada!" - "Donnerwetter, was für ein Mist", schimpfte ein Bergarbeiter laut. Der an ihn gedrängte Bauer, der die Tracht seines Andendorfes trug und die Peitsche, die ihn als indigene Autorität ausweist, rückte nur mit einer knappen Geste seinen Hut zurecht und lauschte weiter mit geschlossenen Augen.

Streng anthropologischen Kriterien hielt die Zeremonie der acht Schamanen zum Amtsantritt des Präsidenten wohl tatsächlich nicht stand - und trotzdem war es ein bewegender Moment für Bolivien: Symbol für die Geburt eines neuen Staates, in dem nun die den Ton angeben, die jahrhundertelang von der Gesellschaft ausgeschlossen waren. "Wir mussten 180 Jahre darauf warten, dieselben Rechte zu haben", sagte Evo vor 50.000 Menschen. "Heute stirbt der Kolonialstaat, ein plurinationaler Staat entsteht." Und mahnte: "Die Völker dieser Erde müssen standhaft bleiben und dürfen vor dem Kapitalismus nicht in die Knie gehen."

Aber der Weg zum Sozialismus ist weit. Als die Massen Stunden später wieder nach Hause drängten, plärrte der Marktschreier draußen auf der Andenwiese immer noch, ohne Luft zu holen: "Der Bauernbub, der Präsident wurde, acht Filme auf einer DVD, nur zehn Pesos . . ."































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