Freitag, 30. April 2010

¿Itzi? - !Itzi!


Gonzalo beim Frühstück in San Borja.


Willkommen am Flughafen von San Borja.

Gesundheitsposten? Gibt´s nicht. Medikamente? Gibt´s nicht. Lehrer? Gibt´s nicht. Trinkwasser? Gibt´s nicht. Staatliche Institutionen? Gibt´s nicht. Geburtsurkunden? Gibt´s nicht. Ausweise? Gibt´s nicht. Die Antwort war immer diesselbe: "Itzi!" Das ist Tsiman und ich lernte recht schnell, was das auf Deutsch heisst: Gibt´s nicht. Meine letzte Reise führte eben dahin, wo es nichts gibt außer Elend, Krankheit, Misshandlung und dem absoluten Ausgeliefertsein an die Natur und allem, was von außen kommt - was selten was Gutes ist.

Aber langsam.

Von La Paz flogen mein Chef Gonzalo und ich Richtung Nordosten in die Provinz Ballivián im Departamento Beni, über den Touristenort Rurrenabaque nach San Borja. Eine Beschreibung des Ethnologen Jürgen Riester aus dem Jahr 1971 von San Borja ist nicht sehr anziehend: "Eines jener einfachen Dörfer in der Stille des Dschungels, die ihre eigenen Gesetze und ihre eigene Dynamik besitzen, wo die Elite der Viehzüchter mit ihren Landgütern das soziale Leben bestimmt. Getränkt von Hitze und Feuchtigkeit. Kann sein, dass es keinen Zucker gibt oder kein Benzin, aber niemals fehlt es an Bier. Bei Anbruch der Dunkelheit versammeln sich die Borjanos auf dem Hauptplatz, um zu diskutieren, an kleinen Ständen Tigermilch (Milch mit Alkohol) zu trinken und dabei die Mücken zu vergessen. Jede Nacht gibt es Trinkgelage, und Schlägereien mit Messer und Pistole sind keine Seltenheit. Die Abgeschiedenheit und die Einsamkeit beherrschen die menschlichen Beziehungen und können sich in jedem Moment in Agression verwandeln. Die Borjaner sind überzeugt, dass Bolivien in San Borja beginnt und in San Borja endet und daß ihre Heimat die beste der Welt ist."




Nachtszenen in San Borja.





Vierzig Jahre später ist San Borja wegen der Migration aus dem Hochland bedeutend größer. Zwischendrin war es mal Produktionszentrum für Kokain. Aber auch das ist wieder vorbei. Geblieben ist nur der Hauch des Cowboy-Provinznestes.

Aber San Borja war auch nicht unser Ziel. Von dort brachen wir mit Selva Velarde, der Departamentschefin der Defensoría del Pueblo im Beni, in einer viersitzigen Maschine, in die auch noch ein Kameramann und der Pilot passten, nach Misión Fatima am Fluss Maniqui auf. Das Dorf, das bis heute nicht über eine Straße zu erreichen ist, hatte in den fünfziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts ein französischer Missionar gegründet, der längst gestorben ist. Eine Kirche, das bescheidene Klosterhaus, eine Schule, ein Buschkrankenhaus, ein paar Tsimane-Familien und Don Pepe, ein spanischer Arzt.

Nach einem Interview mit Don Pepe setzten wir uns in einen Einbaum mit 40-PS-Motor. Unsere Bootsfahrt Richtung Norden endete allerdings schnell: Mangels Wasser und wegen einem der berüchtigten Südwinde mit Regen, Gewitter und Hagel mussten wir nach einer halben Stunde umkehren. Vollkommen durchnässt, fanden wir bei den drei Schwestern im Konvent von Misión Fatima ein Abendessen, trockener Reis mit Spiegelei, und Aufnahme für die Nacht.



Interview zu Hause bei Don Pepe (rechts).

Anderntags brachen wir dann wirklich auf. Zusammen mit drei Tsimane, die uns als Motorist und Übersetzer behilflich waren. Acht Stunden dauerte die Fahrt flußaufwärts bis zum Dorf Cuchisama. Währenddessen wuschen wir die verdreckte Wäsche des Vortags im Fluß, begutachteten die prekären verlassenen Bauten aus dünnen Stecken am Ufer, durchnässten uns bis zur Brust beim Schieben des Einbaums über die seichten Stellen und aßen fritierte und gestampfte Banane, die mit ein bisschen Trockenfleisch vermischt war und Selva vorbereitet hatte.


Felipe, den Einbaum über eine seichte Stelle navigierend.


Gonzalo beim Wäschewaschen.

Cuchisama ist eine Ansammlung von zehn Hütten im Nichts mit verstreut lebenden Familien im Dschungel, in der wir uns zwei Tage lang von Fisch ernährten und Interwies, Umfragen und statistische Erhebungen durchführten mit Menschen, die kein Wort Spanisch sprechen. Sie berichteten von den Problemen, die wir in den folgenden Tagen in jedem der folgenden Dörfer zu Ohren bekamen.


Geflochtene Jatata.


Tsimane im tradionellen Gewand und mit frisch geernteter Jatata auf dem Rücken.


Schuldenzettel. Auch die kleine Juanita schuldet schon.

Die Tsimane schneiden eine Pflanze, Jatata, aus der sie Dachbedeckungen flechten, die im ganzen Tiefland benutzt werden. Die tauschen sie bei Flußhändlern aus San Borja gegen Dinge ein, die es im Dschungel nicht gibt: Kleidung, Nudeln, Seife, Batterien, Süßigkeiten, Buschmesser. Dabei werden sie doppelt beschissen. Zum einen veranschlagen die Händler einen unverschämten Preis für ihre Ware, zum anderen aber einen Bruchteil für die Jatata. Sie verschulden siebenjährige Kinder, vergewaltigen Frauen und Mädchen, prügeln die Männer mit Stöcken und führen ein Schreckensregiment in dem Indigenen-Territorium, in dem sie eigentlich gar nichts zu suchen haben.

Außerdem dringen Goldsucher in das Gebiet ein und verseuchen den Fluss, die einzige Wasserquelle, mit Quecksilber. Holzfäller holen aus dem Wald, was an ordentlichem Material noch zu holen ist - alle wertvollen Tropenhölzer wurden bereits in den 80er Jahren illegal gefällt.



Goldsucher in einem Nebenarm des Río Maniqui.


Daneben die Maschine zum Trennen von Stein und Gold.


Toter Fisch, verendet am Quecksilber.


Vermittlungsgespräch mit Flusshändler und Tsimane.

Die Tsimane aber sind ein sehr friedvolles Volk. Sie zetteln keinen Krieg an. Der Rat der Tsimane beschwerte sich im vergangenen Jahr das erste Mal bei der Defensoría del Pueblo, recht zurückhaltend. Die Institution leitete deshalb eine "Untersuchung von Amts wegen" ein. Der Grund für unsere neuntägige Abenteuerreise durch den Dschungel.

Für die mein Chef nicht wirklich vorbereitet war, wie man dazu sagen muss.

"Ursula, hast Du mal Klopapier für mich?" - "Ursula, kannst Du mir mal Dein Shampoo leihen?" - "Sag mal, Ursula, warum hast Du denn einen so dicken Rucksack dabei? Essen? Nein, Essen habe ich keines mitgenommen!"

Klopapier bekam er von mir abgezählt in die Hand gedrückt, statt Shampoo leihte ich ihm nur die Seife, und dann zwangen Selva und ich ihn, uns bei den Tsimane Hühner zu kaufen fürs Abendessen. Was dazu führte, dass in Emeya das ganze Dorf mit Pfeil und Bogen auf zwei Hühner losging und das widerspenstige, das tot in den Dschungel geflohen war, irgendwann auch wieder einfing.

Außer Hühnern gab es allerdings auch weniger angenehme Tier. Wie viele verschiedene Sorten Mücken dort existieren, bekam ich bis zum Schluss nicht raus. Drei konnte ich anhand der Art der Stiche identifizieren, von denen ich hinterher übersät war: mosquitos, claro, dann die Jejeine und die Marihui. Ob auch die dabei waren, die Leishmaniose verursachen, will ich lieber nicht wissen.

Im Fluss lauern außerdem die Rochen, die mit ihren Stacheln tiefe und schlecht heilende Wunden verursachen. Dann wären da noch die Giftschlangen. Allein auf einem anderthalbstündigen Marsch durch den Dschungel zu einem Flusshändler-Lager tötete der vorausgehende Tsimane zwei davon, deren Kadaver noch beim Rückweg zum Himmel stanken. Und auf einem anderen Marsch durch den Busch auf dem Weg zu den Goldsuchern machte ich Bekanntschaft mit der Buna.

Die Buna ist eine Ameise, deren Biss Fieber und Lähmungen verursacht und außerordentlich schmerzhaft ist. In die Details will ich da nicht gehen. Von der Stirnhöhlenentzündung, die ich mir schon am ersten Tag der Reise geholt hatte, gar nicht mehr sprechen. Damit hob ich mich ohnehin nicht stark von den Tsimane ab, die alle an Schnupfen, Fieber, Bronchitis und Durchfall litten. Ich war nur froh, dass die Spinne unseren Kameramann und nicht mich erwischt hatte. Eduardo hatte tagelang ein daumengroßes weißes Geschwür im Gesicht.



Der Dorfvogt von Cuchisama mit dem Fang des Tages.



In Emeya deckten sie gerade das Dach der Schule neu.


Großfamilie von Dunoy.



Die Männer von Cuchisama beim Fischen.



Die Kinder von Cuchisama in der Schule - mit einem Lehrer, der kein Wort Tsiman spricht.



Mädchen in Cuchisama.



Mein Bett in einer leeren Hütte in Catumare.


Küche und Esszimmer einer Familie in Catumare.



Mädchen in Catumare.



Don Angelito und Ehefrau in Anachere.



Schmetterlinge am Flussstrand.

Mit dem gleichen Sportflugzeug, das uns nach Misión Fatima gebracht hatte, entflohen wir neun Tage später dem Dschungel. In San Borja informierten Selva und Gonzalo in einem Pressegespräch über die Ergebnisse der Reise, damit auch ein neuer Defensor nicht mehr zurückrudern konnte - trotz aller politischen Komponenten der Recherche. Und mit meinem Kollegen Héctor, der in einer anderen Gruppe Misión Fatima flussabwärts recherchiert hatte, gönnten wir uns noch am selben Abend einen ordentlichen Teller Grillfleisch mit Bier.

Bis Ende des Jahres wird der Bericht der Defensoría del Pueblo veröffentlicht mit den Empfehlungen an die staatlichen Stellen. Erste Diskussionen darüber gab es noch am selben Abend beim Hüftsteak. Philosophische Fragen über die Welt, die Menschen und das Elend - die am Ende dann aber wie so oft ohne wirkliche Antwort blieben.



Héctor, ich und Gonzalo nach der Reise am Flughafen von San Borja.

Samstag, 17. April 2010

Das wahre Gesicht



Ob Caporal, Diablada oder Morenada - die Bolivianer tanzen gerne, in den Anden und im Tiefland. Die meisten dieser Tänze bergen Anspielungen auf die Eroberung durch die Spanier und kommen nicht ohne ausladende Kostüme und Masken aus. Das Museum für Ethnografie und Folklore in La Paz hat in einer wunderbaren Dauer-Ausstellung einige dieser Masken zusammengestellt.


























Dienstag, 6. April 2010

Gender-Fragen

Über das Geschlecht von Imkes Geburtstagskissen hatte ich mir keine Gedanken gemacht, als ich anfing zu nähen. Aber irgendwie wurde es dann doch ein Mann . . .

Sonntag, 4. April 2010

Der Wind dreht

Heute werden in Bolivien Bürgermeister, Stadträte und Departamentsregierungen gewählt. Während bei den Präsidentenwahlen Evo Morales und seine Bewegung zum Sozialismus (MAS) die Zweidrittelmehrheit einfuhren, schaut es diesmal nicht überall so rosig aus. Innerhalb von wenigen Monaten hat sich der Wind gedreht.

Die Tieflandindianer marschieren demnächst aus Protest von der brasilianischen Grenze zum Regierungssitz nach La Paz. Die Ponchos Rojos, eine Art MAS-Sturmtruppe, pfiff den Präsidenten am Karfreitagg aus, als er seine Wahlkampagne schließen wollte. Und der ursprünglich MAS-Kandidat für die Prefektur des Departamentes La Paz, hat seine eigene Partei gegründet.

Das alles ist auf der einen Seite nicht das schlechteste, wenn man davon ausgeht, dass eine Demokratie Opposition braucht. Führt aber auf der anderen Seite allerdings dazu, dass die meisten Städte vollkommen unregierbar werden, weil es keine Mehrheiten geben wird.

Wie immer das Ergebnis wirklich aussehen wird: Langweilig wird Bolivien jedenfalls nicht.