Mittwoch, 24. August 2005

Weine nicht um den Amazonas...

In Sarayaku gibt es keinen Strom, fließend Wasser nur in Bächen. Die Häuser bestehen aus gestampftem Boden und einem Holzdach auf Stelzen. Bei Regen verwandeln sich die Trampelpfade durch das Dorf in Schlammpfützen. Die Frauen kochen auf Feuern aus großen Baumstämmen. Auf den Tisch kommt, was die Männer im Rio Bobonaza fischen und mit Lanze oder Gewehr jagen, was die Frauen auf den Feldern anbauen, die bis zu zwei Stunden Fußmarsch entfernt sind: Maniok, Bananen, Mais. Das Dorf ist ein unberührter Flecken im Süden des ecuadorianischen Amazonas, der für die Ölförderung freigegeben ist. Die Einwohner verfolgen deshalb sehr genau den Kampf um den Rohstoff, der sich im Norden des Landes in diesen Tagen verschärft hat.

Nach Sarayaku sind es von dort, wo die Anden auslaufen und der Dschungel beginnt, zwei Tage auf dem Rio Bobonaza oder eine halbe Stunde in einer viersitzigen Cessna. Franco Viteri wohnt direkt an der Landepiste. Der frühere Bürgermeister pflegt verdächtige Besucher mit Chicha de Yuka, einem alkoholischen Getränk aus Maniok zu empfangen, aber auch mit einem anderthalbstündigen Verhör. Im Dorf ist man misstrauisch.

Vor 80 Jahren haben die Kichua-Indianer die evangelischen Missionare verjagt, seit 15 Jahren wehren sich die 200 Familien schon gegen die Ausbeutung der Erdölvorkommen in ihrem Gebiet. Mehr als einmal hat die Regierung angekündigt, das Militär gegen die Indianer einzusetzen. Es gibt ungeklärte Todesfälle, Morddrohungen, Überfälle. Der Staat hat den Familien ihr angestammtes Territoriumschriftlich garantiert, von den Bodenschätzen aber will er nicht lassen.

Die Einwohner Sarayakus wissen, was die Ausbeutung der Bodenschätze mit sich bringt. Sie kämpfen für die Unversehrtheit der Natur und ihre traditionelle Lebensweise. „Nach euren Kriterien sind wir arm. Aber wir sind nicht arm, wir haben alles, was wir brauchen“, sagt Franco Viteri. Wie die meisten im Dorf kennt der 37-Jährige das Leben draußen und die Vorstellungen der Europäer und Nordamerikaner von Entwicklung.

Wie diese aussieht, kann man weiter nördlich besichtigen, in den Provinzen Sucumbios und Orellana. Auf 4,5 Millionen Hektar, größtenteils in Naturschutzgebieten, bohren die staatseigene Firma Petroecuador und ausländische Konzerne wie Agip, Burlington, Repsol oder CGC nach Öl. Die Einwohner profitieren allerdings nicht von den satten Gewinnen. In der vergangenen Woche besetzten sie deshalb Ölfelder und sabotierten Anlagen. Die Regierung musste die Förderung stoppen und verhängte den Ausnahmezustand. Gespräche mit den Demonstranten blieben bislang ohne Ergebnis. Sie fordern Nachverhandlungen mit den Konzernen, Investitionen in die Infrastruktur, und sie protestieren gegen die sozialen und ökologischen Folgen der Förderung.

Der nordamerikanische Konzern Texaco förderte zwischen 1964 und 1992 in den beiden Provinzen 1,5 Millionen Fass Öl. Einen großen Teil der Anlagen, veraltet und schlecht gewartet, betreibt Petroecuador heute noch. Kilometerlange Rohre durchziehen die Landschaft. Wo das bei der Ölförderung entstehende Gas abgefackelt wird, züngeln Flammen zwischen den Bäumen. Auf Lichtungen finden sich in die Erde gegrabene Ölbecken, groß wie Schwimmbäder. Sie sind nicht eingezäunt, und wenn es regnet, laufen sie aus. Manche Bäche sind seit Jahrzehnten voller schwarzer Klumpen. In Wiesen über zugeschütteten Ölbecken breiten sich dunkle Lachen aus.

„Ecuador muss entscheiden, was es dem Öl opfern will“, hat Petroecuador-Chef Rodolfo Barniol vor fünf Jahren gefordert. Umweltschützer zitieren diesen Satz gerne. Sie schätzen, dass die Reinigung des ehemaligen Texaco-Geländes sechs Milliarden Dollar kosten wird. Um diese Summe geht es seit Mitte vergangenen Jahres in einem Schadenersatz-Prozess gegen den US-Konzern vor einem ecuadorianischen Gericht. „Weine nicht um den Amazonas, du tankst Texaco“, hat jemand an eine Hausmauer in Quito geschrieben.

Dort in der Hauptstadt arbeitet der Spanier Adolfo Maldonado. Der 46 Jahre alte Tropenmediziner hat für die ecuadorianische Organisation Accion Ecologica die Folgen der Ölförderung untersucht. „Was im Amazonas passiert, ist gleichbedeutend mit einem Unfall wie dem des verunglückten Tankers Exxon Valdez alle zwei Jahre“, urteilt er. Die Sterberate im Fördergebiet ist mehr als zweieinhalb mal so hoch wie in der Hauptstadt. Jeder Dritte stirbt an Krebs. Hautkrankheiten treten dreimal häufiger auf als im Rest des Landes, es gibt deutlich mehr Abgänge in der Schwangerschaft. „Das ist ein komplettes Desaster. Was dort passiert, ist kriminell“, sagt Maldonado.

Die Indianer von Sarayaku fürchten, dass es auch in ihrem Ort so weit kommen könnte. Deshalb sagt Franco Viteri ein wenig feindselig: „Wir wollen eure Art der Entwicklung nicht.“ Auch nicht gegen finanzielle Entschädigung. Sein Nachfolger Marlon Santi wirbt in ganz Südamerika und bisweilen in Brüssel oder Genf um Unterstützung. Der 27-Jährige trägt dann Federschmuck um den Hals und versucht begreiflich zu machen, dass den Familien von Sarayaku ihre Erde heilig ist. „Lieber sterbe ich, als dass ich ohne sie lebe“, hatte er seiner Mutter kurz vor ihrem Tod versprochen.

Doch die Auseinandersetzung um Sarayaku hat sich weiter zugespitzt. Nicht nur Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen beschäftigen sich mit Drohungen und Angriffen gegen Marlon Santi und die anderen Dorfbewohner, sondern auch der Amerikanische Gerichtshof für Menschenrechte. Ziel der Attacken sind aber auch Mitarbeiter von Organisationen, die Sarayaku unterstützen. Dazu gehört das Zentrum für ökonomische und soziale Rechte in Quito, in dem der Anwalt Mario Melo arbeitet. Er beschreibt die Lage mit den Worten: „Ein Dorf, verloren im Dschungel, kämpft für seine Würde.“

Noch haben die Menschen in Sarayaku diese Würde nicht verloren. Sie leben in einer Welt der Schamanen, Heilriten und Legenden, in der die Gemeinschaft und die Solidarität im Dorf zählen. Es ist diese Lebensform, die sich die Kichua-Indianer bewahren wollen. Doch im Dorf gibt es eine alte Prophezeiung, die niemand deuten mag: „Wir sind das letzte Volk, das Widerstand leistet. Aber das letzte wird fallen.“