Donnerstag, 27. November 2008

Immer wieder neu

Ein unstetes Leben führt ja dazu, dass sich manche Ticks verfestigen. Auf der einen Seite.
Auf der anderen aber hat es auch zur Folge, dass man ständig seine Lebensgewohnheiten ändern muss. Weil ich in meiner Übergangsherberge leider kein Internet habe und heute erst die Möbel für mein Büroeckchen ohne Fenster in der Defensoría bestellt wurden (von dem ich noch gar nicht weiß, ob es Telefon und Internet haben wird), bin ich dazu übergegangen, meinen neuen Mini-Computer in meine Handtasche zu packen und mich damit in einem Café mit Wireless Lan und Raucherzone zu installieren.
So wie heute. Ich sitze hier schon seit Stunden im „Terraza“ in der 20 de Octubre, wo sich die Pazeñer Mittelschicht trifft, und lade Jahresberichte, Mails und juristische Dokumente aus dem Netz runter – und mein Geschreibsel rauf. Jetzt ist es neun Uhr abends, ich habe schon einen Kakao getrunken, eine Cola und zwei Weißwein und außerdem einen thailändischen Salat gegessen, was sich ingesamt auf für hiesige Verhältnisse exorbitante 73 Bolivianos summieren wird, etwa acht Euro nach derzeitigem Umrechungskurs, und langsam wird es Zeit, den Heimweg anzutreten.

Eigentlich habe ich auch gar nichts gegen diese neue Lebensgewohnheit. Dumm nur, dass ausgerechnet in den Cafés mit Internetzugang das Essen so miserabel ist . . .

Gewaltige Bilanzen

Gelassenheit hilft ja manchmal ungemein. Das Auto, das ich auf einer ohnehin anstehenden Recherchereise nach Santa Cruz überführen sollte, stand immer noch kaputt in der Werkstatt. Also machte ich mich Montagmorgen um halb sechs mit dem Bus auf den dreieinhalbstündigen Weg nach Oruro. Am Dienstag, nachdem dort alle Termine absolviert waren, stellte sich bei einem Anruf in Cochabamba in allerletzter Minute heraus, dass der dortige Hauptgesprächspartner entgegen der Abmachungen irgendwo in Bolivien unterwegs ist. So kehrte ich also Dienstagnacht schon wieder nach La Paz zurück. So schnell wird aus einer einwöchigen Reise ein zweitägiger Ausflug.
Ausflug ist gut gesagt. Das Bergarbeiterstädtchen Oruro, das sich auf einer Hochebene auf 3800 Metern an einen Zinnhügel schmiegt, ist nicht gerade ein herausragendes Touristenziel. Tagsüber brennt die Sonne herunter, nachts ist es kalt. Wie überall in Bolivien sind die meisten Häuser weder verputzt noch gestrichen, weil sonst mehr Steuern fällig wären. Bäume gibt es nur auf den zwei Hauptplätzen. Dort ist es recht gemütlich – so lange man nicht daran denkt, dass diese im Fasching von betrunkenen Massen gestürmt werden. Der Karneval von Oruro wurde von den Vereinten Nationen sogar zum Weltkulturerbe erklärt.
Aber Karneval interessiert mich nicht, und außerdem war ich wegen der Konflikte da.


Die Defensoría del Pueblo, die den bolivianischen Staat auf die Einhaltung der Menschenrechte überwacht, tritt seit sieben Jahren in sozialen Konflikten des Landes als Vermittlerin auf. Weil die Institution glaubwürdig ist, wird sie zum Schlichten gerufen. Wie man das macht, haben die Kollegen gelernt, indem sie es machten. Jetzt wollen sie aber nicht mehr die Feuerwehr spielen, die gerufen wird, wenn es die ersten Toten gibt. Sie wollen vorbeugend eingreifen. Dazu brauchen sie jemanden, der ihre Erfahrungen und die Konflikte systematisiert und ihnen beim Aufbau eines Frühwarnsystems hilft. Dieser jemand, der wär jetzt ich.
Da saß ich also im Regionalbüro der Defensoría in Oruro und ließ mir von dem Kollegen Juan Carlomagno den Konflikt von Santa Maria schildern. Weil ich nach zweieinhalb Stunden mehr Fragen hatte als Antworten, stiefelte ich kurzentschlossen in die Präfektur, um den Generalsekretär zu interviewen. Das wäre in Deutschland, sagen wir mal, der Staatskanzleichef.
„Der ist vor ein paar Stunden gegangen und meinte, er komme gleich wieder. Seither ist er nicht mehr aufgetaucht“, sagte die Sekretärin trocken. In dem engen Vorraum warteten auf durchgesessenen Sofas Männer mit indigenen Gesichtern, gelbe Dokumentenmappen auf dem Schoss. Ein ständiges Kommen und Gehen. Nur eine Stunde später war er dann schon da, der Generalsekretär, und empfing mich in seinem Büro, unter den kolorierten Bildern des Präsidenten Evo Morales und der Befreiungshelden Simon Bolivar und José Antonio Sucre. Nach zehn Minuten fürchtete ich, er würde mich rausschmeißen. Sein Misstrauen legte sich dann aber, und er erzählte seine Version des Konflikts.
Anderntags, nach einem weiteren Gespräch in der Defensoría, besuchte ich die drei Anwälte der Bergwerksfirma, die in den Konflikt verwickelt ist. Nach einer Stunde in dem Büroverschlag kapierte ich gar nichts mehr, nach anderthalb weiteren Stunden sah ich dann endlich klarer.
An der Grenze zum Departamento Cochabamba, 25 Kilometer außerhalb der Stadt, liegt das Bergwerk Santa Maria. Das ist keine technische Anlage, sondern ein Flecken Erde, in dem Männer tiefe Löcher bohren, runtersteigen und mit primitivem Gerät und unter Todesgefahr Gestein herausholen. „Da geht man nur runter, wenn man vorher ordentlich gesoffen hat“, sagte einer der Anwälte.
Das Bergwerk beschäftigte anfangs zu gleichen Teilen Arbeiter aus drei umliegenden Orten: Pumiri, Yunguma und Puna Huaylluma. Eines Tages verprügelten zwei Arbeiter aus Puna Huaylluma einen Kollegen und wurden rausgeschmissen. So fing es vor fünf Jahren an. Die Bilanz bis heute: Zwei gewaltsame Besetzungen des Bergwerksgeländes unter Einsatz von Dynamit, Mausergewehren und Sprenggeschossen, Straßenschlachten, Folterungen, mehrere Tote, unzählige Verletzte, eine Gruppenvergewaltigung, eine Entführung und ein Fall von Beinahe-Lynchjustiz. Ein Zivil-, sieben Strafprozesse und drei Verwaltungsverfahren, alle offen. Das Bergwerk arbeitet übrigens schon seit langem nicht mehr. Na ja, und inzwischen ist der Zinnpreis wahrscheinlich ohnehin im Keller.

Hinterher saß ich in meinem mittelprächtigen Hotel im zweiten Stock in einer Sofaecke, schaute durch das schmutzige Panoramafenster dem Treiben auf dem Busbahnhof zu und versuchte, mein Grauen zu besänftigen. Dabei fiel mir ein, dass ich in La Paz in dem dürftigen Dokumentenhaufen über die Konflikte im Land auch einen gefunden hatte, in den das selbe Dorf, Puna Huaylluma, verwickelt ist. Die Bewohner hatten plötzlich angefangen, auf den Gemeinschaftsfeldern eines Nachbardorfes Quinua zu klauen und zu behaupten, das sei von alters her das Gemeinschaftsfeld ihres Dorfes gewesen. Man könnte ja fast lachen über diesen Fall, aber auch dabei ist es ziemlich roh zugegangen.
Wie kommt es, dass ein Konflikt so eskaliert? Im Fall des Bergwerks gibt es einige recht nahe liegende Erklärungen. Dabei geht es um Verwandtschaftsbeziehungen, ideologische Feindschaften und um die Abwesenheit von Staat und Rechtsstaat. Die Polizei zum Beispiel weigert sich, das Bergwerk und die Arbeiter zu schützen oder in eine Straßenschlacht auch nur einzugreifen. „Ein Bergarbeiter aus Puna Huaylluma macht zehn von unseren Männern fertig“, sagt der Kommandant. Er zog es vor, immer dann von der Bildfläche zu verschwinden, wenn die Polizei gerufen wurde. Der Anwalt urteilt über das Dorf Puna Huaylluma: „Das sind Wilde.“ Weil ich es nicht selbst überprüfen will, lass ich das mal so stehen.
Auf der Rückfahrt durch die Hochebene, vorbei an kleinen Dörfern und atemraubenden Landschaftsbildern, fragte ich mich, ob ich mich nicht doch besser für den Karneval interessieren sollte. Als ich anderntags die Zeitung aufschlug, wusste ich: Nein. Um den Karneval 2009 ist in Oruro gerade ein heftiger Konflikt entbrannt.


Sonntag, 16. November 2008

Evo si!

Ich werde ja nicht nur fürs Reisen bezahlt. Die vergangene Woche verbrachte ich zwischen neun Uhr morgens und acht Uhr abends im Hotel Radisson in La Paz auf dem Weltkongress der Mediation. Ich nahm an Workshops und an Konferenzen teil, habe den Guru Johan Galtung gehört - und Evo Morales.
Der sozialistische Staatschef eröffnete den Kongress im Konferenzsaal des Luxushotels, und was er sagte, war interessant: Mediatoren sind überflüssig, wenn man sie braucht, sind sie nicht da.
Es war schon so eine peinliche Stille entstanden im Saal, als er dann nach 20 Minuten meinte: Na ja, Ihr habt das ja gelernt, Ihr seid die Experten. Wenn ich gewusst hätte, dass das hier so ein wichtiges Ereignis ist, hätte ich mich besser vorbereitet und wäre auch länger geblieben. Ich sage ja nur, wie es mir in den vergangenen Jahren als Gewerkschaftschef ergangen ist.
Lachen.
Dieser Mensch mit der schwarzen Matte auf dem Kopf, dem man jede seiner Gemütsbewegungen am Gesicht ankennt, der da ohne Krawatte im Andenjanker am Rednerpult steht und nichts ist als authentisch, hatte den Saal in Sekunden für sich. Kein Vortrag hinterher, der nicht auf diese Rede Bezug genommen hätte.
Das Wort Mediation kann ich übrigens nach sechs Kongresstagen nicht mehr hören. Es wird ja auch nicht mal vom Open Office Rechtschreibprogramm erkannt.

In der Pampa




Nach sechs Wochen in Bolivien bin ich zum ersten Mal in meinem Leben so weit, dass ich mir freiwillig eine Kundenkarte besorgen werde. Die von Aerosur. Das Meilensammeln kann sich nur lohnen. Jedenfalls habe ich schon jetzt das Gefühl, dass ich die lila-grün gekleideten Stewardessen in Hotpants und Stilettos bald einzeln kenne. Wenn es doch anders kommt, dann nur, weil ich beim Fliegen wie beim Busfahren immer schlafe.
Heute Abend fliege ich wieder nach Sta Cruz, wo ich bis nächsten Sonntag für drei Workshops bleibe. In der Woche darauf habe ich Termine in den lokalen Büros der Defensoría del Pueblo in Oruru und Cochabamba. Weil ohnehin ein Auto von La Paz nach Sta Cruz überführt werden muss und Cochabamba fast auf halber Strecke liegt, werde ich diese Reise wahrscheinlich im Auto machen. Mit Straßenblockaden ist im Moment erstmal nicht zu rechnen - und vielleicht lässt sich auf der Fahrt zwischen Cochabamba und Sta Cruz noch ein Erholungswochenende in Samaipata einlegen.
Dabei bin ich erst vor einer Woche von meiner letzten Reise zurückgekehrt.








Dienstagmorgen um halb sechs starteten wir zu fünft in zwei Jeeps in Sta Cruz. Dort gab es kein Benzin, aber die Reserven reichten noch bis zur nächsten Tankstelle, die nach zwei Stunden auftauchte. Nach einer weiteren Stunde lasen wir einen Kollegen auf, der von einem Termin im benachbarten Ort zurückkam und schon seit einer Stunde an der Weggabelung in der Pampa auf uns wartete. Um halb zwölf erreichten wir staubverkrustet das Nest Monteagudo, wo wir direkt zum Büro der CCCH fuhren. Das ist die Dachorganisation der traditionellen Dorfchefs der Guaranis in Chuquisaca, einem Teil des Chacos. Wie würde man auf Deutsch sagen: Tieflandindianer? Jedenfalls eine der wenigen Ethnien, die die Inkas nicht unterwerfen konnten.
Die Capitanes warteten schon. Ich hatte mir auf der rasanten Fahrt über die Pisten als Beifahrerin zwar fast einen Zahn ausgeschlagen, doch wir hatten uns trotzdem um zwei Stunden verspätet. Wir vereinbarten, erstmal Mittag zu essen und uns halb drei wieder zu treffen. Das ist Bolivien.
Vier Stunden Schlaf, fünf Stunden Gerumpel, ein ordentliches Mittagessen – ich war müde. Also noch ein Kaffee. Der wird hier wie in Peru gerne als Tintura gereicht. Das bedeutet ein kleines Kännchen Essenz, das Tote wiedererwecken würde, von der man sich normalerweise einen Fingerbreit einschenkt und die man mit heißem Wasser auffüllt. Halbe halbe, und schon ging´s besser.
Richtig wach wurde ich allerdings erst, als anschließend im Büro der CCCH der Coca-Beutel herumging und ein Kollege zeigte, wie man´s macht. Man faltet das Blatt entlang des Stils, nimmt das herausstehende Ende zwischen Daumen und Zeigefinger, steckt das Blatt bis zu den Fingern zwischen die Zähne und zieht es vom Stil ab. Eines nach dem anderen. Als nichts mehr in die Backe passte, war ich hellwach. Nach zwei Stunden machte ich es wie die Männer. Ich ging aus dem kahlen Verhandlungsraum in den verrumpelten Hinterhof und spuckte hinter der Tür die zerkaute grüne Kugel, die ein bisschen nach alten Schuhen schmeckt, in den Abfalleimer, in dem schon die anderen zerkauten grünen Reste lagen.
Die Besprechung dauerte bis um halb sieben. Monologe. Manchmal auf Guarani. Forderungen. Missverständnisse. Einigung. Und Witz. „No probamos, tomamos.“ - „Wir probieren nicht. Wenn wir trinken, saufen wir.“ Aber sie rissen sich zusammen beim Abendessen.
Am anderen Morgen um neun war es schon so heiß, dass ich mir beim Frühstück auf dem Markt fast einen Blumen-Gärtnerhut gekauft hätte. Ich war dann doch zu eitel. Zwei Kollegen und ein Auto ließen wir wie geplant in Monteagudo zurück. Hinterher erfuhren wir: Die Sitzung für die Ausarbeitung der Details fiel aus. Von den Guarani-Capitanes war nur einer erschienen.
Zu viert im Jeep, dem Hausstand meiner Kollegin Verena und ihrem Mann Lorenz, den beiden selbst und unserem deutschen Chef Thomas, fuhren wir weiter: Der Fahrer, zwei auf dem Beifahrersitz und einer hinten zwischen Teilen des Gepäcks.


Wegen einer eingestürzten Brücke mussten wir einen weiten Umweg fahren durch Chaco-Kerngebiet, wo Großgrundbesitzer Guaranis als Leibeigene halten, wo die Regierung gerade wegen der Trockenheit den Notstand ausgerufen hat und die Viecher zurzeit mit herausstehenden Rippen an Wasser- und Futtermangel sterben. Wo man hinter jeder Kurve einen Esel oder eine Kuh auf der Piste erwarten muss oder zumindest ein Schwein. Wo der Weg alle zwei Kilometer ein weites, in dieser Jahreszeit ausgetrocknetes Flussbett kreuzt und wo man jeden Reiter fragt, ob man noch richtig ist. In den ersten zehn Stunden kam uns kein einziges Auto entgegen.
Thomas hatte sich in Monteagudo sicherheitshalber von zwei Leuten je eine Karte zeichnen lassen. Wir verfuhren uns trotzdem. Als ich auf einem steilen Forstpfad auf der Breite des Jeeps mit Untersetzung umdrehen hätte sollen, gab ich auf und überließ das Lenkrad einem Mann. Nachts um eins kamen wir mit einer dicken Schicht aus Schweiß und Staub und zu Berge stehenden Haaren wie aus der Dreiwettertaft-Werbung in Tarija an. Der Chef spendierte ein gutes Hotel. Mit Pool und Wireless Lan.

Wer vom Chaco schon mal gehört hat, denkt an weite, plane Ebenen in Paraguay und Argentinien. Der bolivianische Teil des Chaco hingegen ist auch bergig. Tarija liegt am Rand, auf 1900 Metern, und ist das Weinanbaugebiet Boliviens. Er schmeckt, der Wein, das konnten wir anderntags nach einer ganztägigen Besprechung im örtlichen Büro der Defensoría del Pueblo auf dem baumbestandenen Hauptplatz erkunden.
Am Freitag flog ich wie mein Chef zurück nach La Paz. Verena und ihr Mann fuhren die restlichen sechs Stunden weiter bis zur argentinischen Grenze nach Yacuiba. Sie werden dort die nächsten zwei Jahre leben. Aber die beiden sind hart im Nehmen. Das letzte Jahr haben sie in der Zentralafrikanischen Republik verbracht.
Wenn sich jetzt noch irgendjemand fragen mag, um was es eigentlich geht bei den Besprechungen, Workshops und Reisen, dann kann ich nur sagen: Nur nicht ungeduldig werden. Wenn ich im nächsten Jahr einmal wirklich angefangen haben werde zu arbeiten, dann ist es immer noch früh genug, das zu erklären.















Sonntag, 9. November 2008

Wo die Götter wohnen







Auf halben Weg zum Titicacasee auf mehr als 4000 Metern über dem Meer liegt Tiwanaku, die Hauptstadt der prä-inkaischen Tiwanaku-Kultur oder, so sagt die Legende, der Wohnsitz des Gottes Viracocha. Fast beeindruckender als die Steinreste der Pyramiden, die monolithischen Statuen, das Sonnen- und das Mondtor ist die karge Landschaft der Hochebene mit den Andengipfeln ringsherum.




















Samstag, 8. November 2008

Der Teufelszahn


Am Südrand von La Paz finden sich ein paar seltsame Steinformationen, das Tal des Mondes, mit dem Teufelszahn im Hintergrund.



Freitag, 7. November 2008

Bolivien von oben








Sonntag, 2. November 2008

Samstag, 1. November 2008

Todos Santos


Schon Tage vor Allerheiligen hatte die Semmelverkäuferin auf der Straße vor dem Markt einen Korb mehr neben sich stehen. Darin lagen männchenartige, unterarmlange Gebäckteile, die einen bemalten Gipskopf in ihre Teigschneckerl eingebacken hatten.

„Das isst man?“, fragte ich die dicke alte Frau mit den hüftlangen Zöpfen, dem Bowlerhut und den vielen Röcken. Sie saß am Gehsteig zwischen ihren Körben auf einem Schemel und hatte eine dicke Decke um die Schultern gewickelt. Wie üblich bewegte sie sich nicht und war auch nicht sehr gesprächig. „Ja“, sagte sie in den Straßenverkehr, ohne mich anzuschauen.

Ein bisschen Lokalkolorit für das Frühstück, dachte ich, und kaufte so ein Gebäckstück.


Die Kechua und Aymara bereiten ihren Verstorbenen an Allerheiligen auf dem Friedhof den Tisch. Neben den Gebäckmännchen kommt da alles drauf, was der Tote gerne gegessen und getrunken hat. Süßigkeiten fehlen in der Regel nicht, und auch nicht der Schnaps. Die Familie kommt am Grab zusammen, betet und singt, isst und trinkt den Gabentisch leer und bittet den Verstorbenen am Schluss, im nächsten Jahr wiederzukommen.

Allerdings hatte mir alte Frau nicht gesagt, dass man immer zwei Gebäckstücke kaufen muss: ein Männchen und ein Weibchen. Sonst irrt die verstorbene Seele allein auf Erden herum.






Als mein Männchen also an Allerheiligen auf dem Frühstückstisch lag, wollte es keiner anbeißen. „Zu unheimlich“, fand Wasti, der gerade auf Besuch war. Fand ich auch. Und so sitze ich immer noch da mit meinem Tantawawa, der schon ein bisschen schimmelt, und traue mich nicht, ihn wegzuwerfen.