Sonntag, 16. November 2008

In der Pampa




Nach sechs Wochen in Bolivien bin ich zum ersten Mal in meinem Leben so weit, dass ich mir freiwillig eine Kundenkarte besorgen werde. Die von Aerosur. Das Meilensammeln kann sich nur lohnen. Jedenfalls habe ich schon jetzt das Gefühl, dass ich die lila-grün gekleideten Stewardessen in Hotpants und Stilettos bald einzeln kenne. Wenn es doch anders kommt, dann nur, weil ich beim Fliegen wie beim Busfahren immer schlafe.
Heute Abend fliege ich wieder nach Sta Cruz, wo ich bis nächsten Sonntag für drei Workshops bleibe. In der Woche darauf habe ich Termine in den lokalen Büros der Defensoría del Pueblo in Oruru und Cochabamba. Weil ohnehin ein Auto von La Paz nach Sta Cruz überführt werden muss und Cochabamba fast auf halber Strecke liegt, werde ich diese Reise wahrscheinlich im Auto machen. Mit Straßenblockaden ist im Moment erstmal nicht zu rechnen - und vielleicht lässt sich auf der Fahrt zwischen Cochabamba und Sta Cruz noch ein Erholungswochenende in Samaipata einlegen.
Dabei bin ich erst vor einer Woche von meiner letzten Reise zurückgekehrt.








Dienstagmorgen um halb sechs starteten wir zu fünft in zwei Jeeps in Sta Cruz. Dort gab es kein Benzin, aber die Reserven reichten noch bis zur nächsten Tankstelle, die nach zwei Stunden auftauchte. Nach einer weiteren Stunde lasen wir einen Kollegen auf, der von einem Termin im benachbarten Ort zurückkam und schon seit einer Stunde an der Weggabelung in der Pampa auf uns wartete. Um halb zwölf erreichten wir staubverkrustet das Nest Monteagudo, wo wir direkt zum Büro der CCCH fuhren. Das ist die Dachorganisation der traditionellen Dorfchefs der Guaranis in Chuquisaca, einem Teil des Chacos. Wie würde man auf Deutsch sagen: Tieflandindianer? Jedenfalls eine der wenigen Ethnien, die die Inkas nicht unterwerfen konnten.
Die Capitanes warteten schon. Ich hatte mir auf der rasanten Fahrt über die Pisten als Beifahrerin zwar fast einen Zahn ausgeschlagen, doch wir hatten uns trotzdem um zwei Stunden verspätet. Wir vereinbarten, erstmal Mittag zu essen und uns halb drei wieder zu treffen. Das ist Bolivien.
Vier Stunden Schlaf, fünf Stunden Gerumpel, ein ordentliches Mittagessen – ich war müde. Also noch ein Kaffee. Der wird hier wie in Peru gerne als Tintura gereicht. Das bedeutet ein kleines Kännchen Essenz, das Tote wiedererwecken würde, von der man sich normalerweise einen Fingerbreit einschenkt und die man mit heißem Wasser auffüllt. Halbe halbe, und schon ging´s besser.
Richtig wach wurde ich allerdings erst, als anschließend im Büro der CCCH der Coca-Beutel herumging und ein Kollege zeigte, wie man´s macht. Man faltet das Blatt entlang des Stils, nimmt das herausstehende Ende zwischen Daumen und Zeigefinger, steckt das Blatt bis zu den Fingern zwischen die Zähne und zieht es vom Stil ab. Eines nach dem anderen. Als nichts mehr in die Backe passte, war ich hellwach. Nach zwei Stunden machte ich es wie die Männer. Ich ging aus dem kahlen Verhandlungsraum in den verrumpelten Hinterhof und spuckte hinter der Tür die zerkaute grüne Kugel, die ein bisschen nach alten Schuhen schmeckt, in den Abfalleimer, in dem schon die anderen zerkauten grünen Reste lagen.
Die Besprechung dauerte bis um halb sieben. Monologe. Manchmal auf Guarani. Forderungen. Missverständnisse. Einigung. Und Witz. „No probamos, tomamos.“ - „Wir probieren nicht. Wenn wir trinken, saufen wir.“ Aber sie rissen sich zusammen beim Abendessen.
Am anderen Morgen um neun war es schon so heiß, dass ich mir beim Frühstück auf dem Markt fast einen Blumen-Gärtnerhut gekauft hätte. Ich war dann doch zu eitel. Zwei Kollegen und ein Auto ließen wir wie geplant in Monteagudo zurück. Hinterher erfuhren wir: Die Sitzung für die Ausarbeitung der Details fiel aus. Von den Guarani-Capitanes war nur einer erschienen.
Zu viert im Jeep, dem Hausstand meiner Kollegin Verena und ihrem Mann Lorenz, den beiden selbst und unserem deutschen Chef Thomas, fuhren wir weiter: Der Fahrer, zwei auf dem Beifahrersitz und einer hinten zwischen Teilen des Gepäcks.


Wegen einer eingestürzten Brücke mussten wir einen weiten Umweg fahren durch Chaco-Kerngebiet, wo Großgrundbesitzer Guaranis als Leibeigene halten, wo die Regierung gerade wegen der Trockenheit den Notstand ausgerufen hat und die Viecher zurzeit mit herausstehenden Rippen an Wasser- und Futtermangel sterben. Wo man hinter jeder Kurve einen Esel oder eine Kuh auf der Piste erwarten muss oder zumindest ein Schwein. Wo der Weg alle zwei Kilometer ein weites, in dieser Jahreszeit ausgetrocknetes Flussbett kreuzt und wo man jeden Reiter fragt, ob man noch richtig ist. In den ersten zehn Stunden kam uns kein einziges Auto entgegen.
Thomas hatte sich in Monteagudo sicherheitshalber von zwei Leuten je eine Karte zeichnen lassen. Wir verfuhren uns trotzdem. Als ich auf einem steilen Forstpfad auf der Breite des Jeeps mit Untersetzung umdrehen hätte sollen, gab ich auf und überließ das Lenkrad einem Mann. Nachts um eins kamen wir mit einer dicken Schicht aus Schweiß und Staub und zu Berge stehenden Haaren wie aus der Dreiwettertaft-Werbung in Tarija an. Der Chef spendierte ein gutes Hotel. Mit Pool und Wireless Lan.

Wer vom Chaco schon mal gehört hat, denkt an weite, plane Ebenen in Paraguay und Argentinien. Der bolivianische Teil des Chaco hingegen ist auch bergig. Tarija liegt am Rand, auf 1900 Metern, und ist das Weinanbaugebiet Boliviens. Er schmeckt, der Wein, das konnten wir anderntags nach einer ganztägigen Besprechung im örtlichen Büro der Defensoría del Pueblo auf dem baumbestandenen Hauptplatz erkunden.
Am Freitag flog ich wie mein Chef zurück nach La Paz. Verena und ihr Mann fuhren die restlichen sechs Stunden weiter bis zur argentinischen Grenze nach Yacuiba. Sie werden dort die nächsten zwei Jahre leben. Aber die beiden sind hart im Nehmen. Das letzte Jahr haben sie in der Zentralafrikanischen Republik verbracht.
Wenn sich jetzt noch irgendjemand fragen mag, um was es eigentlich geht bei den Besprechungen, Workshops und Reisen, dann kann ich nur sagen: Nur nicht ungeduldig werden. Wenn ich im nächsten Jahr einmal wirklich angefangen haben werde zu arbeiten, dann ist es immer noch früh genug, das zu erklären.















Keine Kommentare: