Dienstag, 29. April 2008

Ein Leben in der Hängematte

Der Lokalbus setzte mich um sieben auf der Dorfstraße ab und bei der Anfahrt hüllte er mich in eine Staubwolke. Ich schlenderte im samstäglichen Morgenlicht an den Holzhütten, verrammelten Kiosken und geschlossenen Bars vorbei ans Meer. Hier putzte sich eine Dicke vor der Tür die Zähne, dort streunte ein Hund, und an der Ecke stand ein Alter und wartete auf Godot. Canoa war noch gar nicht richtig wach. Ich hingegen schon.

In dieser staubigen Straße hatte ich Silvester 2004 in Badelatschen durchgetanzt und mir Blasen am großen Zeh geholt. Und nun war ich wieder da. Am Ende der Strandpromenade stand immer noch das Casa Bambu. Ich spazierte durch das Holztürchen in den Garten. Der Wachmann saß einsam an einem der Tische im Sand und las in der Bibel. Die Küche war noch geschlossen, und ich legte mich in eine Hängematte zwischen die Palmen, mit Blick auf den Zaun aus Pflanzen, auf das Meer und die Steilküste am Ende der langgestreckten Bucht.
Und sofort war es wieder da. Dieses Gefühl, ich müsste aus dieser Hängematte nie wieder aufstehen. Dass plötzlich alles gut ist.

Dabei war die Anreise gar nicht so gut gewesen. Ich hatte mich in Quito am Vorabend um neun in den Bus gesetzt und war trotz des Lärms aus der Musikanlage, der kreischenden Babys und des Motorbrummens augenblicklich eingeschlafen. Als ich wieder aufwachte, war es immer noch finster, aber die Schwüle trieb mir den Schweiß unter T-Shirt, Pullover, Jacke, Halstuch und Regenjacke hervor. 2800 Meter Höhenunterschied machen sich bemerkbar. Und als ich die Brille aufsetzte und meinen schmerzenden Hals wendete, sah ich: Der Bus war halbleer.

Verschlafen stolperte ich zum Fahrerhäuschen. Der Ticketabreißer grinste mich an. „An San Vincente sind wir schon lang vorbei.“ Ich tastete mich zu meinem Platz zurück, zog all das überflüssige Zeugs aus, stopfte es in meinen kleinen Rucksack, da winkte der Ticketabreißer vorne hektisch. Ich stolperte zurück. „Hol Dein Gepäck und setz Dich hier neben den Fahrer. Wenn der Bus aus der Gegenrichtung kommt, kannst Du wechseln.“

Da saß ich also. Mit einer Knoblauchfahne vom Vorabend, wirren Haaren, Hunger und Durst, meinem Rucksack auf dem Schoß, auf einer Liegepritsche nebem dem Fahrer. Der dirigierte mit nacktem Oberkörper, einer Zigarette im Mund und ausladenden Bewegungen das Lenkrad, um den Bus in der Dunkelheit um die Schlaglöcher herum durch die kurvige und enge Sandpiste zwischen den grünen Hügeln zu lenken. Und freute sich über Unterhaltung.
Eine halbe Stunde lang schaukelten wir an schlecht erleuchteten Baracken, Bauern auf Eseln und kleinen Grüppchen an hölzernen Haltestellen vorbei, vor denen große Säcke standen. Ich hatte schon erklärt, wer ich bin, dass ich nicht heiraten will und auch nicht meine Telefonnummer hergebe. Da kam Gegenverkehr. Endlich, der andere Bus - und nichts wie raus. Eine Stunde dauerte es bis San Vincente zurück, dann noch eine halbe Stunde im Lokalbus. Und dann lag ich in der Hängematte.




Canoa war Canoa: Hängematte, ein bisschen Strandspaziergang, Schwimmen, Camarones in Kokossoße, gegrillter Fisch, Cebiche, Happy Hour um fünf, Sternenhimmel. Und Quatschen mit Debora, die zwischen Bogota und Buenos Aires eine zehntägige Stippvisite in Ecuador eingelegt hatte und schon einen Tag früher angereist war. Was will man eigentlich mehr?

Na ja, das nächste Mal würde ich mir gerne die Rückfahrt im Nachtbus ersparen. „Das war die schrecklichste Busfahrt, die ich je gemacht habe“, sagte Debora, als wir Montagmorgen übernächtigt am Bahnhof in Quito wieder ausstiegen. Und Debora ist hartgesottene Südamerika-Busfahrerin. Abhilfe? Fiele mir schon ein: einfach dortbleiben.



Sonntag, 20. April 2008

Ein Ort, um zu sein

„Quito, oder Kitu, war immer schon vor allem ein Platz, um zu sein, sich niederzulassen und zu leben, eine Mulde in einem Gebirgsrücken, die den Wolken nahe ist, ein immergrünes Stück Land mit fruchtbaren Weiden, mit Wäldern und Flüssen, die aus dem Pichincha hervorquellen, mit Früchten und Blumen, sanften Lagunen an beiden Muldenenden, zwei warmen Tälern in der Nähe, umgeben von sieben Wächtern des ewigen Eises, das sich mit den Wolken mischt, der Ort des ewigen Frühlings.“

Das ist eine sehr heimelige Beschreibung von Quito. Sie stammt aus dem Buch „Der Palast des Teufels“ des ecuadorianischen Schriftstellers Modesto Ponce Maldonado. Obwohl in der langgestreckten Mulde zwischen zwei Andenrücken auf 2800 Metern über dem Meer inzwischen drei Millionen Menschen leben, die Weiden zugebaut, die Wälder abgeholzt, die zwei Täler zersiedelt und die Gletscher am Schmelzen sind, so trifft diese Beschreibung doch ziemlich genau das Gefühl, das die Stadt in mir hervorruft.

Ich lebe im Nordteil in einer Einliegerwohnung, gegenüber einer Mall im US-amerikanischen Stil, in Sichtweite der deutschen Botschaft und neben dem Olympischen Stadion Atahualpa. Dieses ist benannt nach dem letzten Herrscher des Inkareiches, der 1533 in Cajamarca im Norden Perus nach mehrmonatiger Gefangenschaft von den Spaniern mit einer Würgschraube erdrosselt wurde. Von Atahualpa hat das Stadion aber ebensowenig wie von Olympia. Dafür verstärkt es einen Effekt, für den ich nun nochmal Modesto Ponce Maldonado bemühe.

„Vom zwölften Stock aus ist die Stadt wunderschön, aber es ist nicht die Stadt. Wer sie so betrachtet, tut das wie ein Gott und jene allgegenwärtigen Menschen, die in ihrer unbegrenzten Gleichgültigkeit die Welt von weitem betrachten, von ganz oben herab, und sie sehen die Stadt so, wie sie sie sehen wollen, durch die Farbe ihrer Fensterscheiben. Unten stehen die Menschen, die die Dinge sehen, wie sie sind, die sie frontal und mit offenen Augen betrachten. Im Erdgeschoss, in der Empfangshalle oder auf dem Bürgersteig beginnt die Stadt, anders zu sein.“

Das großzügige Einfamilienhaus, in dessen zweiten Stock ich wohne, gehört einem Zahnmediziner, der die Klinik im Nebenbau inzwischen seinen Kindern überschrieben hat, brav alle reklamierten Schäden repariert und mich ansonsten in Ruhe lässt. Wenn ich aber auf meine kleine Dachterasse trete oder das Metalltor unten zur Straße öffne, sehe ich direkt auf den Hintereingang des Stadions, an dem sonntags nach einer Niederlage die enttäuschten und betrunkenen Fans alle Schimpfwörter brüllen, die das Spanische hergibt - inklusive derer, die ich noch nicht kenne.

Die Wohnung bietet nicht diese fantastische Sicht auf die Mulde, in die sich Quito schmiegt, auf die Bergruecken gegenueber, an denen sich die Stadt hochzieht, auf die Vulkane. Die Moebel sind alt, der Teppichboden fleckig, der Strahl aus der Elektrodusche ein Rinnsal. Trotzdem ist sie etwas Besonderes: eigenwillig geschnitten, ruhig (außer nach Spielen) und sonnendurchflutet (wenn die Sonne scheint). Man koennte auch behaupten, diese Wohnung hat den Charme einer altmodischen Berghütte. Und in die Arbeit gehe ich zu Fuß.

Die Arbeit allerdings, die ist ein Reinfall. Ich kam an mit einem Vertrag über ganze drei Monate; einem Auftrag, der sich schon kurz nach der Ankunft als obsolet entpuppte; einem Chef, der kündigte und seinen letzten Arbeitstag hinter sich brachte am Tag, bevor ich begann; einem kommissarischen Nachfolger, der nicht da ist; einer jungen Studentin, meine einzige direkte Kollegin momentan, die ganztägig mit ihren Freundinnen chatet, im Büro ihre Universitätsarbeiten schreibt, oft mit ihrer Mama telefoniert und ansonsten nur tut, wofür sie vom kommissarischen Chef eine Anweisung bekommt. Aber der ist ja nicht da.

Die Institution, bei der ich arbeite, heisst Plasa. Es ist eine Arbeitsgemeinschaft aus 23 Organisionen, die sich in irgendeiner Form mit Umweltkonflikten beschäftigen - und seit vergangenem Oktober nicht mehr zusammengearbeitet haben. Ich spiele ein bisschen den Totengräber einer sterbenden Einrichtung und wundere mich, dass ich für so etwas tatsächlich gebraucht werde.

Wenn ich abends den Griffel fallen lasse, tue ich das, was ich in Quito schon vor vier Jahren tat: Ich pflege mein Sozialleben. Es gibt alte Freunde und neue. Sogar meine Friseuse, eine Kolumbianerin, hat mich nach vier Jahren wiedererkannt.

Bereits dreimal habe ich es in das kleine Programmkino Ochoymedio geschafft, in dem ich bei meinem letzten Aufenthalt schon oft saß. Den „Armen Teufel“ nebenan, eine stylische, aber gemütliche Jazzkneipe, gibt es auch noch. Im Ausgehviertel „La Mariscal“ hat sich wenig verändert - nur der Inder ist vier Haeuserblocks nach Sueden gezogen. Und im Stadtpark oben auf dem Hügel duften die Eukalyptusbäume nach dem Regen noch wie vor vier Jahren.

Vergangene Woche hoerte ich nebenan im Stadion das Konzert der mexikanischen Rockband Mana, waehrend der Vollmond auf das Fussballfeld schien und sich die Wolken wie ein Kranz um die Tribuene legten. Ich habe endlich mit Yoga angefangen. Und jetzt am Samstag gab´s die erste Party mit angenehm träge versandelten Nachfeierstunden am Sonntag.

Irgendwie fast wie daheim. Quito ist eben vor allem ein Platz, um zu sein.

Sonntag, 6. April 2008

Ein neues Zuhause