Donnerstag, 20. Dezember 2007

Matatodo

Es ist immer noch nicht Sommer hier in Lima, zum Fenster weht ein Nebel mit bewusstseinsveränderndem Fischgeruch herein, und ich habe schon wieder einen Floh.

So stand ich also kürzlich auf dem Heimweg vom Büro des DED im Supermarkt vor dem Regal mit den Vernichtungsmitteln, und ich griff dann gleich zum „Matatodo“, dem „Macht alles tot“. Als ich wieder rauskam, meinen kleinen schwarzen VW Golf anschmiss, jemandem, der behauptete, er hätte auf mein Auto aufgepasst, einen Sol gab, und schließlich mit quietschendem Keilriemen losfuhr, hätte ich das „Matadodo“ am liebsten gleich ausprobiert. Gegen meine Kontrahenten auf der Straße.


Mit meinem Auto - zu Zeiten, als ich noch das Leiberl der Defensoría del Pueblo trug.
Der vierspurige Kreisel Ovalo Gutierrez ist berüchtigt für seine morgendlichen und abendlichen Hakenkreuz- und Reisverschluss-Staus. Aber es war früh genug, um ordentlich seine Runde durch den Ovalo zu drehen, und wenn man das zweimal gemacht hat, dann macht man das so, wie es alle machen: Man fährt vom Straßenrand auf der kürzesten Strecke in die innerste Spur, ohne nach links oder rechts zu schauen, zwingt dabei alle Autos zur Vollbremsung und löst ein Hupkonzert aus. Auf der Höhe der gewünschten Abfahrt fährt man dann auf der kürzesten Strecke von der innersten Spur auf die äußerste und zwingt dabei wieder alle Autofahrer zur Vollbremsung und löst ein zweites Hupkonzert aus. Eines sollte man nämlich beim Autofahren schnell lernen, und das sind die Verkehrsregeln.

Verkehrsregel Nummer eins ist: Es gibt keine Regeln.

Als ich also vom Ovalo Gutierrez ohne Rücksicht auf Verluste in die Comandante Espinar einbog, hielt ich mich dort wie immer auf der mittleren Spur. Das ist deshalb ratsam, weil links immerzu die Linksabbieger Stau verursachen und rechts sich Bus an Bus drängt. Die Busfahrer aber stoppen trotz Überschreitung aller Höchstgeschwindigkeiten von jetzt auf gleich wegen jedweden gelangweilt herumstehenden Fußgängers, vor allem, wenn diese weiblich sind, und zwingen einen damit nicht nur alle paar Meter zu einer Vollbremsung, sondern auch zu warten, bis alle Gäste ein- oder ausgestiegen sind. Auf der mittleren Spur aber gibt es nur eine Gefahr: die Busfahrer, die andere Busse überholen, indem sie, Zehntelsekunden bevor man ihre Höhe erreicht hat, ohne Ankündigung und mit schwarzer Abgaswolke ausscheren.

Denn Regel Nummer zwei ist: Blinken ist uncool.

Auf der Comandante Espinar also querte ich auf der mittleren Spur ein paar Kreuzungen und kaufte dann bei Rot einem fünfjährigen Mädchen für einen Sol eine Schachtel Kaugummi ab. Da ich noch nicht durchstartete, bevor die Ampel wieder auf Grün sprang, löste ich erneut ein Hupkonzert aus. Direkt hinter der Ampel wiederholte sich dann ein Schauspiel, das sich dort ununterbrochen beobachten lässt, weil sich erstens die Straße von zwei auf drei Spuren verengt und zweitens

die Regel Nummer drei gilt: Einordnen gilt nicht.

Die Busse von der rechten Spur müssen an dieser Kreuzung links abbiegen. Weil sie aber unter keinen Umständen auch nur einen Fahrgast verpassen möchten, ordnen sie sich nicht links ein, sondern queren einfach mitten auf der Kreuzung die drei Fahrspuren nach links. Machmal streckt der Fahrer freundlicherweise den Arm aus dem Fenster, um zu signalisieren, dass man gefälligt stehen bleiben soll. Auf der Linksabbiegerspur aber standen wie immer nur Autofahrer, die geradeaus weiterfahren wollten und mich deshalb nach rechts abzudrängen versuchten. Aber da stand ja schon der nächste Bus.

Und Regel Nummer vier ist: Busfahrer haben immer Recht.

Laut einer Untersuchung haben 60 Prozent der Busfahrer in Lima ein psychisches Problem, und bei der Zulassungsprüfung werden sie zwar nach europäischen Schriftstellern gefragt, aber nicht nach den Verkehrsregeln oder ihrem Gesundheitszustand. Und da meine Hupe schon seit geraumer Zeit nicht mehr fuktioniert, blieb ich also stehen, ließ alle vorbeiziehen, auch die, die eigentlich in der mittleren Reihe hinter mir standen und beim ersten Anzeichen eines Stopps sofort auf die linke Spur geschert waren, und zockelte dann gerade noch über die Kreuzung, bevor der Querverkehr losstartete.

Das mit der Hupe ist besonders an den nächsten fünf Kreuzungen ein Verdruss, dort gibt es nämlich keine Ampeln und dort gilt

Regel Nummer fünf: Wer lauter hupt, hat Vorfahrt.

Theoretisch hat an diesen Kreuzungen der Vorfahrt, der keinen durchgezogenen Strich vor sich entdeckt. In der Praxis aber sieht das so aus, dass man sich – mit oder trotz weißen Strichs – hupend so weit in die Kreuzung vortastet, bis der Querverkehr gar nicht mehr anders kann als stehenzubleiben, wenn er nicht einen Frontalzusammenstoß riskieren will. Praktischerweise sind fast alle Straßen Einbahnstraßen, so dass man wenigstens nur an einer Front kämpfen muss. Hilfreich ist in solchen Fällen ein Bus nebenan in der Richtung, aus der der Querverkehr kommt. Im Windschatten eines Psychopathen traue ich mich auch die haarsträubendsten Manöver. Und in solchen Fällen gilt dann

Regel Nummer sechs: Achte nie auf das Hupen der anderen.

Gehupt wird ständig. Und wenn nicht gehupt wird, weil das Auto geparkt ist, dann schrillt die Alarmanlage. Am heftigsten sind die Hupkonzerte auf den großen Durchgangsstraßen, wo man zu Hauptverkehrszeiten eine halbe Stunde braucht, um über die Kreuzung zu kommen, die dann ein Verkehrspolizist regelt, weil

Regel Nummer sechs besagt: Beachte nie eine Ampel.

So ein Verkehrspolizist muss spätestens dann die Vorfahrtsrichtung ändern, wenn das Hupkonzert auf der stehenden Seite das Ausmaß annimmt, das vermuten lässt, dass sich der Mob gleich zur Lynchjustiz zusammenrauft. Und wem das nun im Detail ein bisschen widersprüchlich vorkommt, der sei auf Regel Nummer eins verwiesen:

Es gibt keine Regeln.

Das gilt vor allem für die Ticos. Das sind die kleinen japanischen Taxis, gegen die ein Trabbi ein Luxusstahlgefährt ist. Die drängeln sich ununterbrochen überall rein, eröffnen auf durchgezogenen Strichen neue Spuren und benehmen sich, als gäbe es keine anderen Verkehrsteilnehmer. Weshalb bei einem ordentlichen Unfall ein Taxigast in einem Tico selten überlebt.

Dass ich bisher im Straßenverkehr überlebt habe, und dass auch noch ohne Unfall, lässt mich manchmal an Wunder glauben. Besonders wenn ich an meine orientierungslosen Fahrten durch die unangenehmsten Gegenden Limas denke, wenn ich mal wieder vom rechten Weg abgekommen war. In solchen Stadtvierteln sind die Straßen nicht asphaltiert, von Straßenschildern, Markierungen oder Wegweisern ganz zu schweigen. Und in diesen Gegenden gibt es dann wirklich gar keine Regeln mehr - nicht einmal Regel Nummer eins.

Was allerdings nicht so richtig in dieses ganze Regelwerk passen will, ist die neueste Regelung: Seit September müssen alle Autos aus Lima regelmäßig zum TÜV. Ich war schon. Völlig unspektakulär. Meine kaputte Hupe ist ihnen gar nicht aufgefallen. Ich hätte sie auch nur ungern reparieren lassen. Seit sie nicht mehr funktioniert, ist Autofahren viel entspannter.

Montag, 17. Dezember 2007

P.P.S.

Also, die Fliesen sind jetzt verfugt. Dafür ist jetzt aber die Klospülung kaputt.

Mittwoch, 5. Dezember 2007

P.S.

Der Handwerker ging uebrigens, ohne die Fliessen verfugt zu haben. Ich warte immer noch darauf, dass er wieder mal auftaucht...

Montag, 3. Dezember 2007

Miraflores in einer Adventsnacht

Das Kaufhaus gehoert - wie fast alles - den Chilenen. Und der Weihnachtsbaum besteht - was man nicht sieht - aus vielen kleinen Mickey Maeusen.

Das Rathaus von Miraflores.

Der Parque Kennedy, ein paar Strassen von mir entfernt.


Sonntag, 2. Dezember 2007

Im Pickup ueber die Anden

Teresa und ich brauchten nur elf Stunden, bis wir die Strecke von Ayacucho nach Lima hinter uns gebracht hatten. Selbst wenn man nicht elf Stunden quatscht, wie wir das getan haben, ist die Fahrt ein Erlebnis.






Da sind wir praktisch schon fast an der Kueste angekommen.

Samstag, 1. Dezember 2007

Picknick in Chuschi









Praktisch auf jedem Feld steht ein Klo mit dem dicken Namenszug der US-amerikanischen staatlichen Entwicklungshilfeagentur USAID. Wenn man sich die Haeuschen genauer anschaut, merkt man, dass sie nicht benutzt werden...







Das ist ein kreisrunder Regenbogen - nur fuer den Fall, dass es nicht auffaellt.






Freitag, 30. November 2007

Wandern in Luricocha










Donnerstag, 29. November 2007

Stilleben

Mittwoch, 28. November 2007

Ausflug nach Quinua









Auf einer Hochebene bei Ayacucho steht ein Denkmal fuer die Schlacht, die endgueltig die Unabhaengigkeit Lateinamerikas besiegelte.










Eine Wanderung zum Wasserfall.








Im naheliegenden Ort steht noch das Haus, in dem die Spanier den Kapitulationsvertrag unterschrieben haben.









Bekannt ist Quinua ausserdem fuer seine Tonfiguren und kleinen Kirchen auf den Daechern.



Dienstag, 27. November 2007

Ayacucho in Bildern

Die Stadt Ayacucho liegt auf 2600 Metern und hat die Farbe der umliegenden Berge, weshalb man sie im Bergkessel fast nicht ausmachen kann. Die Region mit dem gleichen Namen ist die zweitaermste des Landes und war in den 80er und 90er Jahren Schwerpunkt des bewaffneten internen Konflikts. Noch heute werden Massengraeber ausgehoben, in denen die maoistische Guerrillabewegung Leuchtender Pfad und das peruanische Militaer ihre Opfer verscharrten.

Paradestueck traditionellen ayacuchanischen Kunsthandwerks sind die Retablos. Dieses ueberdimensionale Exemplar mit der wenig traditionellen Werbung auf der Plaza de Armas beherbergt in seinem Innern allerdings nicht die ueblichen bunten Szenenbilder mit Figuren aus Holz oder Pappe, sondern einen Zeitungskiosk.
Die Plaza de Armas.




Die Mototaxis flitzen wie kleine wild gewordene Bienen durch praktisch jede Provinzstadt Perus und machen einen Hoellenlaerm.


Nachts in einem Armenviertel. Anamaria, Teresa und ich holten dort einen Christbaum fuer Anamarias Kinder ab...

Montag, 26. November 2007

Fortbildung in Ayacucho


Die peruanische Kollegin Giovanna (links) arbeitet mit Ashaninka-Gemeinden bei Satipo im Amazonas, Cordula mit der Opferorganisation Anfasep in Ayacucho.


Die Regenzeit beginnt gerade, in der Regel gibt es deshalb nachmittags einen Wolkenbruch, der die steilen Strassen Ayacuchos in unueberwindbare Fluesse verwandelt und am Himmel bunte Farben erzeugt.







Die deutsch-chilenische Kollegin Anamaria lebt mit ihrer Familie in Ayacucho. Sie arbeitet als Psychologin mit den Opfern der polititschen Gewalt und ihren Angehoerigen . Das sind vor allem arme, kechuasprachige Baeuerinnen, die weder lesen noch schreiben noch Spanisch koennen. Uns gab Anamaria eine Einfuehrung in das Thema Trauma.





Das Hotel Santa Rosa.