Dienstag, 20. Mai 2008

Misión cumplida

Wie das ist, wenn man Sklave seines Besitzes wird, durfte ich jetzt hautnah miterleben. Yoanne und Holger sind ein Woche vor mir hier in Ecuador angekommen und sind kurz danach in eine Wohnung bei mir in der Nähe gezogen. Während ich aber von meinen Fenstern aus entweder auf unscheinbare Häuser oder auf das Stadion oder auf Wellblechdächer schaue, residieren die beiden im besseren Teil meines Viertels in einer abgeschlossenen Straße mit Blick auf die gesamte Stadt.

Unten versperrt ein Tor die Zufahrt, das immer abgeschlossen ist. Oben steht ein Wachmann an einer Schranke. Seit innerhalb einer Woche die Wohnung über Holger und Yoanne, eine im Nachbarhaus und eine im Haus gegenüber ausgeräumt wurde, hat die Mietergemeinschaft zusätzlich zum Wachmann auf der Straße und zur Alarmanlage einen 24-stündigen Sicherheitsdienst für das Gebäude engagiert.

Das wäre mir alles egal, wenn ich nicht kürzlich, als die beiden auf Reisen waren, ihre blauen Gepäcktonnen in Empfang hätte nehmen müssen.

Der ältere Herr im Anzug wuchtete die fünf Tonnen von seinem Pickup, stellte sie etwa fünf Meter vom Hauseingang ab und sagte mit einem Lächeln im Gesicht: "Misión cumplida." Da kriegte ich einen Tobsuchtsanfall und sagte zuckersüß: "Herzlichen Dank. Sie sind aber sicher so freundlich und bringen die Tonnen in die Wohnung, oder?" Ihm gefror das Lächeln. Ich passierte die Video-Gegensprechanlage, sperrte das Außentor mit dem ersten Schlüssel auf, sperrte die Haustür mit dem zweiten Schlüssel auf, beantwortete geduldig die Fragen des Gebäudewachmanns und dann des Hausmeisters und stellte mich an den Aufzug, bis der Herr im Anzug alle fünf Tonnen dorthin verfrachtet hatte.

Im Aufzug musste ich diese weiße Scheckkarte in der Handtasche suchen, denn der Lift bewegt sich nur, wenn man diese Karte dort an einen elektronischen Apparat gehalten hat und das Lämpchen grün blinkt. Auch wenn die Wohnung 5b heißt, so liegt sie doch im zweiten Stock. Das stand aber gottseidank auf meinem Zettel.

Vor der Haustür schließlich die schwierigste Aufgabe: Es gibt ein Metallgitter mit Schloss und drei Meter dahinter die Haustüre mit Schloss. Wenn man das Metallgitter aufgeschlossen hat, bleiben einem genau fünfzehn Sekunden, um die Haustüre aufzusperren und in der Wohnung den Sicherheitscode in einen Apparat einzugeben. Wer zu langsam ist, löst den Alarm aus.

Ich war natürlich zu langsam. Schon alleine deshalb, weil ich einen Schlüsselbund mit sieben Schlüsseln in der einen Hand und den Zettel mit den Nummern des Sicherheitscode in der anderen hatte. Und um Himmels willen: Welcher ist der Haustürschlüssel? Den richtigen sollte man bereits identifiziert haben, bevor man das Metalltor aufsperrt. Ich wusste, dass er ein eingestanztes K zeigte, aber als ich genauer hinsah, merkte ich, dass das für vier Schlüssel galt. Ich musste also ausprobieren. Und das dauerte eindeutig länger als fünfzehn Sekunden.

Als ich endlich in die Wohnung stürmte, um den Sicherheitscode einzugeben und damit dieses nervtötende Alarmgeräusch zu beenden, klingelte schon das Telefon. Ich nahm aus Versehen erst den Hörer der Gegensprechanlage ab. Als ich das Telefon gefunden hatte, meldete sich die Sicherheitsfirma.

"Alles in Ordnung bei Ihnen?"
"Äh, ja."
"Irgendwelche Vorkommnisse?"
"Äh, nein."
"Sicherheitscode?"
"Sicherheitscode?"

In letzter Sekunde fiel er mir wieder ein. Es war der Name einer deutschen Stadt.

Mir stand der Schweiß auf der Stirn. Aber Rausgehen ist leichter. Man gibt die Nummern des Sicherheitscodes ein und hat dann fünfzehn Sekunden, um rauszugehen und beide Türen abzuschließen. Aber da kann man vorher ausprobieren, welcher der Schlüssel die passenden sind. Und runter, da fährt der Aufzug auch ohne die Scheckkarte.




Gruppenbild in der Wohnung von Yoanne und Holger (links) mit Thalia und ihrem Mann (Mitte) und Monika (rechts), die bei der Wahrheitskommission arbeitet.

Sonntag, 18. Mai 2008

Üben für den Cotopaxi

Antje lebt seit zwei Jahren in Quito. Sie ist eine Kollegin aus der SZ. Im vergangenen Jahr haben waren wir ein Wochenende gemeinsam in den peruanischen Bergen wandern, als sie mit ihrem Mann Joachim dort auf Urlaub war.

Jetzt waren wir auch in Ecuador wandern. Joachim und sein Kollege Christian trainieren für den Cotopaxi. Der Vulkan ist fast 6000 Meter hoch.

So stapften Antje und ich auf 4000 Metern Höhe und bei anhaltendem Nieselregen von da, wo das Auto im Schlamm nicht mehr weiterkam, bis zu den Mojanda-Seen in erheblichem Abstand hinter den Männern her. Genau zur Brotzeit kam die Sonne durch. Und hinterher gingen wir noch ein Weißbier trinken. Eigentlich wie zu Hause.




Freitag, 16. Mai 2008

Harte Arbeit

Wer wollte nicht schon mal seinen Chef in Unterhosen sehen? Der Zivile Friedensdienst macht auch das möglich. Bei einer einwöchigen Versammlung in Puyo, an der die Chefs aus Bonn und die Kollegen aus Guatemala, Bolivien, Peru und Ecuador teilnahmen, gab es viele Arbeitsgruppen, noch mehr Diskussionen, ordentlich Bier, einen Besuch bei der Organisation der Amazonas-Indianer und einen Bootsausflug. Ein Einbaum kenterte. Es war just der mit dem Chef.


Puyo liegt auf 900 Metern in der Ceja de Selva, am Eingang zum Amazonas.
Wenn man sich nicht kennt, muß man sich vorstellen - die Kollegen aus Guatemala taten das ganz ohne Power-Point-Präsentation.
Das obligatorische Gruppenbild.
Wie man sieht: Harte Gruppenarbeit . . .
. . . die nur durch einen Ausflug unterbrochen wurde.
Und wer die Kanufahrt trocken überstanden hatte . . .
durfte sich hinterher in der heiligen Quelle erfrischen.
Bei der Confederación de las Nacionalidades Indígenas de la Amazonia Ecuatoriana (CONFENIAE) ging´s schon ein bisschen ernster zu. Die Amazonas-Indianer haben in die verfassungsgebende Versammlung die Forderung eingebracht, ihre Territorien autonom zu verwalten - inklusive der Bodenschätze. Seit klar ist, dass Präsident Rafael Correa davon nichts hält, haben sie ihm die Gefolgschaft aufgekündigt. Autonom verwalten heißt übrigens: Wer nicht zum Stamm gehört, hat kein Recht auf Mitsprache, und jeder Bewohner des Territoriums muss sich der indigenen Rechtsprechung unterwerfen. Das dürfte kein Spaß sein. Indigenas oder Stamm darf man übrigens nicht mehr sagen, da wurde ich scharf zurechtgewiesen. In Ecuador heißen die jetzt Nationen.
Außer diesem grimmig dreinblickenden Holzkerl gibt es am Sitz der Organisation nicht viel zu sehen. Die korrupten Führungsfiguren haben das Gebäude in den letzten Jahren komplett geplündert, und als keine Computer mehr da waren, haben sie die Kloarmaturen mitgenommen.
Der Besuch endete mit Fisch und Chicha de Yukka. Ich kann dieses säuerliche und je nach Gärungszustand alkoholhaltige Getränk aus Maniok, das traditionellerweise die Frauen zubereiten, indem sie die Wurzel zerkauen, nicht einmal mehr riechen, seit ich vor vier Jahren im Amazonas auf nüchternen Magen drei Kokosschalen davon trinken musste. Diesmal ließ ich den Becher einfach stehen. Meine Kollegin hingegen schüttete das Getränk in einem unbeobachteten Moment in die Wiese hinter sich. Es dauerte keine Minute, bis ihr jemand nachschenkte. "Nee, das mit den Indigenas, das liegt mir nicht so", sagte sie hinterher.

Freitag, 9. Mai 2008

Lucky Lark

Im Umkreis meiner Wohnung und des Büros gibt es geschätzte vierhundert Kramerläden. Es war schwer genug, die vier zu finden, die Lucky Strike verkaufen - also theoretisch. In der Praxis bin ich auf Lark umgestiegen.

Manchmal kam ich auch schon ganz ohne Glimmstengel in der Arbeit an. Ja, in Quito kann es passieren, dass die Zigaretten ausverkauft sind. Also alle Zigaretten, gleich welcher Marke. Der generelle Engpass ist dann zwar nach ein paar Tagen vorbei, Lucky Strike gibt es aber immer noch nicht, nicht mal in den vier Läden, die sie theoretisch verkaufen.

"Die Lucky, die kommen aus Venezuela", sagte die Krämerin irgendwann. "Und weil die Venezolaner die Steuern nicht bezahlt haben, stecken die Zigaretten an der Grenze fest."

Meine Hoffnung richtet sich nun ganz auf ALBA, der Alternativa Bolivariana para los Pueblos de Nuestra América. Wird Zeit, dass Ecuador endlich dieser venezolanisch-cubanisch initiierten antiimperialistischen südamerikanischen Freihandelszone beitritt.

Auf der ALBA-Internetseite ist zu lesen, dass Venezuela gerade 600 Tonnen Harnstoff an Nicaragua geschickt hat und dass Ecuadors Präsident Rafael Correa immer noch überlegt, ob er mitmachen soll. Als gäb´s da noch was zu überlegen. Also, es müsste ja nicht gerade Harnstoff sein, so ein paar Lucky täten es auch...