Freitag, 24. Februar 2006

Costa Rica in Bildern

San José

Fliegende Tiere






Kaffee








Strand



Abenteuer für gestresste Touristen





Donnerstag, 23. Februar 2006

Rest der Revolte

Einen Stadtplan? Die Frau blickt verstört von ihrem Waschzuber auf. Nein, damit kann sie nicht aushelfen. Sie schreit nach einem ihrer Kinder in dem zugestellten und überdachten Durchgang, der gleichzeitig als Küche, Bad, Trockenraum, Fernsehecke, Kinderzimmer und Eingang zu den fensterlosen Hotelzimmern dient. Eine Buchhandlung? Sie schaut kurz von der Waschbrühe auf, in der sie Babywindeln schrubbt. Ein verständnisloser Blick. Nein, Buchhandlung weiß sie auch keine. Auf der frisch geduschten Haut ihres Pensionsgastes beginnt sich in der schwülen Hitze schon wieder ein Schmierfilm aus Schweiß zu bilden, da ruft sie ihm in die Schmachtfetzen der morgendlichen Telenovela noch etwas hinterher: das Einkaufszentrum, das Plaza Inter, ein Häuserblock zum See, sechs nach Osten. Sie fuchtelt mit den nassen Händen in eine unbestimmte Richtung. Oh mein Gott. Wo ist der See? Wo ist Osten? Wo bin ich hier?

Für Neulinge ist Nicaraguas Hauptstadt Managua ein Albtraum. Und daraus gibt es auch mit einem Stadtplan kein Erwachen – wenn überhaupt einer aufzutreiben ist. Straßennamen existieren nicht. Von dort, wo einmal das Kino Dorado stand, sollen es drei Häuserblocks zum See, zwei nach Westen und ein halber nach Süden sein – eine normale Adressenangabe. Dumm nur, dass der Ort, an dem früher das Kino stand, im Stadtplan nicht als solcher auftaucht, genauso wenig wie andere geheimnisvolle Orientierungspunkte. Es gibt sie nicht mehr, seit das Erdbeben von 1972 die mittelamerikanische Hauptstadt verwüstete.

Und überhaupt: Wo ist der See? Neuankömmlingen bleibt bei der Adressensuche nur ein Taxi. Fahrgäste sollten sich aber nicht wundern, wenn erstens im Auto schon drei Passagiere sitzen, die zuerst abgeliefert werden. Wenn zweitens der Preis von 20 Cordoba (etwa ein Euro) vorher zu entrichten ist, damit der Fahrer tanken kann – ein paar Tropfen für exakt 20 Cordoba. Wenn dieser dann, drittens, versucht, seinen Kunden zum Protestantismus zu bekehren, während ein Radioprediger in voller Lautstärke von der Liebe Christi salbadert. Und wenn der Fahrer viertens an der übernächsten Straßenecke einem Passanten durch das Autofenster die Frage zuruft, die Orientierungslose durch die ganze Stadt verfolgt: In welcher Himmelsrichtung liegt hier der See?

Ja, wo liegt er nun, der See? Wenn Reisende endlich am Ufer stehen, am Rand des Stadtzentrums, wo früher sonntags Dienstmädchen spazierten und flirteten, beginnen sie zu verstehen, dass diese Frage – die Orientierung einmal ausgenommen – vollkommen unerheblich ist. Von der Uferpromenade ist praktisch nichts und vom Zentrum nur eine halb verfallene Kathedrale übrig; außerdem das Nationaltheater, das frühere Parlament und Brachflächen, die bis heute niemand bebaut hat – wenn man mal vom neuen Präsidentenpalast absieht. Baden kann man im Managua-See ohnehin nicht. Die Wasserqualität überleben schon die Fische nicht.

Managua ist keine Stadt zum Besichtigen von Sehenswürdigkeiten. Höchstens Linksnostalgiker dürften ihren Gefallen finden an den Überbleibseln der sandinistischen Revolution. Die bereitete vor 26 Jahren einem diktatorischen Familienclan sein Ende, wurde 1990, nach einem zermürbenden Bürgerkrieg gegen die von den USA finanzierten Contras, durch Wahlen in die Knie gezwungen und versucht seither vergeblich, auf demokratische Weise an ihre einstigen Erfolge anzuknüpfen.

Von denen zeugen ein paar Überbleibsel auf einem Hügel inmitten Managuas: Zwei verrostende Panzer und eine Statue des Namenspatrons Augusto Cesar Sandino, eines Minenarbeiters, der Anfang des vergangenen Jahrhunderts den bewaffneten Aufstand gegen die nordamerikanischen Besatzer anführte und 1934 hinterhältig ermordet wurde. Vom Hügel bietet sich ein schöner Blick auf die Weitläufigkeit der Stadt, ihren See, viel Grün und einen mit Wasser gefüllten Vulkankrater, die Laguna de Tiscapa.

Managuas Schönheit ist eher herb; sie offenbart sich dem, der sich treiben lässt: zum Straßenverkäufer, der schwarz kopierte CDs mit Revolutionsliedern und dazu gleich seine eigenen Erlebnisse feilbietet; im Gewusel des größten zentralamerikanischen Marktes, des Mercado Oriental, der für sich gesehen schon ein Stadtteil ist und in dessen verrufenen Kern sich sogar manche Nicas nicht hineintrauen; an die Fritanga-Buden, die aus schwarz verkrusteten Blecheimern tatsächlich Essbares zaubern.

Oder ins Nachtleben: In eine Bar am Rande eines städtischen Kreisverkehrs, in der sich Mariachi-Musiker ein Zubrot verdienen und sich vornehmlich männliche Gäste mit Rum und Cola bis zum nächsten Morgen retten. In eine der überdachten und vergitterten Freiluft-Kneipen im Stadtteil Bolonia, wo Journalisten bei vielen Litern Bier an blanken Resopaltischen Berufstratsch weitergeben und die Tatsache feiern, dass sie sich wegen politischer Differenzen nicht mehr gleich niederschießen. In eine der Salsa-Diskotheken, natürlich, auch die gibt es.

Einkaufszentren im nordamerikanischen Stil schießen aus dem Boden, üblicherweise mit einer Etage Fast-Food-Restaurants, die ohnehin jede größere Kreuzung markieren. Besserverdienende heben ihr Geld am Drive-in-Schalter ab. Wer kann, verbringt die Wochenenden am Meer. Wenn der See nichts hergibt, dann wenigsten die See. Welche? Die karibische ist von der Hauptstadt aus nur durch logistische Höchstleistung oder im Flugzeug zu erreichen. Also die pazifische. Lieblingsausflugsziel der Nicas, besonders zu Ostern ist das kleine Nest San Juan del Sur.

Wer in der Hauptstadt, wie die große Masse, vom Mercado Roberto Huembes im ausrangierten US-Schulbus dorthin aufbricht, wird auf dem schmalen Bänkchen kaum den Platz finden, auch nur seinen Blick auf die draußen vorbeiziehende Landschaft zu wenden; geschweige denn in seinen Hosentaschen nach dem Fahrgeld zu kramen, das der nach hinten durch die Leiber turnende Busbegleiter verlangt. Da ist es dann doppelt schön, wenn man Freunde mit einem eigenen Auto gefunden hat. Darin genießt man die Bewegungsfreiheit und trällert die inoffizielle Nationalhymne mit. „Ay Nicaragua, kleines Nicaragua, schönste Blume meiner Liebe“, singt Carlos Mejia Godoys zu Recht.

So herb sich die Hauptstadt gibt, so lieblich präsentiert sich das Land. Auf der Strecke in das Fischerdorf San Juan del Sur im äußersten Südosten wartet es auch noch mit touristischen Höhepunkten auf: Masaya, wo der Held Sandino geboren wurde, mit dem Vulkan, dem Kratersee und dem Naturpark gleichen Namens. Oder der gemütlichen Kolonialstadt Granada am Ufer des Nicaraguasees mit seinen Inselgrüppchen und der Vulkaninsel Ometepe.

Zwischen den touristischen Stationen lohnt ein Stopp an einer Imbissbude mit gekochten oder gegrillten Maiskolben, frischem Obst oder warmen Tortillas mit Sahne-Zwiebel-Füllung. Eine schwere, feuchte Schwüle vertreibt die Klimaanlagenluft aus den Lungen, die Milch der Kokusnuss löscht den Durst. Am Straßenrand oder auf einem Dorfplatz entzündet sich schnell einmal eine Debatte über die Neugestaltung der Ortsmitte, den Sinn von Entwicklungshilfe, die Pflanzenvielfalt des Landes oder seine Probleme.

Politisch und sozial liegt vieles im Argen. Einige wenige genießen unglaublichen Reichtum, die Masse aber schlägt sich mit weniger als einem Dollar pro Tag durch. Die großen Parteien üben sich in Posten- und Pöstchengeschachere, der Politikbetrieb lebt von der Korruption, die Auslandsschulden ersticken alle Bemühungen um Besserung.

In einem der weißen Dörfer bei Masaya leuchtet das frisch gemalte Porträt von Sandino von einer Hausmauer. Ein kleiner stämmiger Mann kommt aus der Tür, holt zu einem Vortrag über die Wahlkampfstrategie der Sandinisten aus und schwärmt: „In Nicaragua muss niemand verhungern.“ Letztlich landet aber auch der Dorffunktionär bei den Realitäten. „Die Bauern“, sagt er dann, „die bekommen doch heute fast kein Geld mehr für ihren Mais, ihre Bohnen, ihren Kaffee.“

Das lässt sich ein paar Kilometer weiter beobachten. Dort wurde die Bushaltestelle vor dem Friedhof zum Kaffeemarkt umfunktioniert. Bauern verkaufen am Straßenrand ihre Ernte an Zwischenhändler. Die lassen Bohnen aus den Plastiksäcken in einen Holzkasten schütten, um Maß zu nehmen. Pro Holzkasten ein Pfund Bohnen, pro Pfund Bohnen 25 Cordoba. Auf 40 Säcke schätzt der Bauer seine Ernte in diesem Jahr. Zufrieden setzt er sich in seinen demolierten Pick-up und rumpelt über die schlaglochübersäte Straße davon. Aber die wenigsten haben wie er ihren eigenen Grund und Boden, viele schlagen sich als Tagelöhner durch.

Davon ist am Ziel der Reise, in San Juan del Sur, wenig zu merken. Der schmucke Ort mit einer Hand voll Herbergen, Geschäften, zwei Internet-Cafés und einem kleinen Markt ist gerade dabei, sich zu einem feinen Touristenziel zu mausern. An der einfachen Strandpromenade werben luftige Restaurants mit Fischgerichten, abends lädt die Bar zu einem stimmungsvollen Ron Añejo, an Wochenenden vergnügen sich Dorfjugend und Besucher aus der Hauptstadt bei Reggaeton in der Freiluftdisko. Und neuerdings legen im Ort sogar Kreuzfahrtschiffe an.

Von der Professionalität des nur wenige Kilometer entfernten Nachbarstaates Costa Rica, in jeder Beziehung der Streber des Isthmus, ist man hier im Dorf allerdings noch weit entfernt – wie in ganz Nicaragua. Auf der anderen Seite der Grenze gibt es Adventure-Parks, in denen ein ehemaliger Fleischbaron 200 000 neue Bäume pflanzen ließ, von US-Investoren organisierte Wasserfalltouren, in denen die Begegnung mit Kolibris nicht dem Zufall überlassen wird, und ein von ausländischen Partnern finanziertes Institut, das darauf hinarbeitet, dass die Ökologie nicht den ökonomischen Interessen geopfert wird.

In San Juan del Sur hingegen ist man schon stolz auf den Bau einer Öko-Lodge mit zwölf Zimmern – und speist ausländische Gäste noch nicht mit geschulter Professionalität ab. „Das Geld reicht nicht? Dann zahlst Du eben morgen“, sagt die Frau im Tante-Emma-Laden. Sie reicht eine Tüte mit Pulver über die Theke. „Und nimm das noch mit, mein selbst gemachter Kakao hat Dir doch beim letzten Mal so geschmeckt.“