Mittwoch, 11. Mai 2005

Die Macht der Maras

Die Tätowierungen sind nicht zu übersehen: auf dem linken Handrücken ein Spinnennetz, „M 18“ auf dem rechten. Die 26-Jährige versteckt sie nicht, obwohl sie nicht mehr Mitglied der „Mara 18“ ist. Miriam stieg aus der kriminellen Jugendbande aus, als diese ihre beiden Brüder umbrachte, wegen Verrats. Dass sie noch lebt, verdankt sie ihrem heute fünfjährigen Sohn. Wegen des Kindes ließen die Mörder gegen sie Gnade vor Bandenrecht walten.

Die junge Frau könnte aus jeder beliebigen zentralamerikanischen Großstadt stammen. Auch aus Ecuador, Peru, Mexiko oder den USA, neuerdings sogar aus Spanien. Die straff organisierten Jugendbanden haben sich auf dem gesamten amerikanischen Kontinent ausgebreitet, beherrschen mit ihren Kriegswaffen Städte und Landstriche, rauben, entführen, foltern, vergewaltigen und morden, handeln mit Drogen, Waffen und Menschen und werden zudem verdächtigt, mit al-Qaida in Kontakt zu stehen. In der spanischen Hauptstadt registrierte die Polizei in diesem Jahr erstmals Bandenkriege zwischen lateinamerikanischen Einwanderern.

Miriam stammt aus einem Viertel der guatemaltekischen Hauptstadt, die sich mehr als ein Dutzend Maras aufgeteilt haben. Allein in Miriams Stadtteil mit 45 000 Bewohnern wurden im Januar und Februar diesen Jahres 160 Menschen umgebracht, mehr als 100 bewaffnete Raubüberfälle verübt und mindestens 40 Frauen vergewaltigt. Bewaffnete Busüberfälle und Morde mitten in der Innenstadt sind an der Tagesordnung. Händler geben ihre Geschäfte auf und Busfahrer treten in den Ausstand, wenn die Banden ihre Schutzzölle erhöhen. Wer nicht zahlt, wird erschossen. Neuerdings klingeln sie auch gerne abends an der Tür und schauen sich in der Wohnung um. Wenn sie gefällt, bleiben sie – für immer. Die Hausherren dürfen das Notwendigste zusammenpacken, bevor sie auf der Straße landen. Die wenigsten erstatten Anzeige. Sie haben Angst.

Schätzungen zufolge gibt es allein in Honduras, Nicaragua, El Salvador, Panama und Guatemala mehr als eine halbe Million Bandenmitglieder. Sie sind in der Regel zwischen zwölf und 30 Jahre alt, verstehen die Gang als Ersatzfamilie, sprechen in eigenen Codes und identifizieren sich durch Tätowierungen. Auch in den USA sollen 50 000 Mitglieder von Banden leben.

Polizei-Experten zufolge sind sie auch dort entstanden, als in den 70er und 80er Jahren Tausende Bürgerkriegsflüchtlinge aus Zentralamerika in die Vereinigten Staaten flohen. Zum Schutz vor den bereits existierenden Latino-Gangs, deren Ursprung bis ins vorletzte Jahrhundert zurückreicht, gründeten sie eigene Banden. Seit aber in Zentralamerika zumindest auf dem Papier Frieden herrscht, schiebt die US-Polizei jeden ab, der auffällig wird. In ihren Heimatländern gründen die Mareros dann neue Gruppen und schaffen so ein internationales Netz.

Während die USA aus Angst um die Sicherheit im eigenen Land von der Region eine gemeinsame Strategie im Kampf gegen die Jugendbanden fordert und kürzlich Geld dafür in Aussicht gestellt haben, sehen sich die Präsidenten aus dem armen Hinterhof der Großmacht überfordert. Sie setzen das Thema zwar regelmäßig auf die Tagesordnung ihrer Treffen und vereinbarten kürzlich eine gemeinsame Eingreiftruppe, einen zentralamerikanischen Haftbefehl und schärfere Gesetze. Ihre Mittel sind aber begrenzt, leiden die Länder doch unter einem korrupten Staatsapparat, einer schwachen Justiz und einer wenig effektiven Polizei.

Als in Guatemalas Hauptstadt kurz nach Amtsantritt von Oscar Berger im vergangenen Jahr eine übel zugerichtete Leiche mit einer Botschaft an den neuen Präsidenten auftauchte, holte dieser das Militär zu Hilfe. Das allerdings beherrscht auch neun Jahre nach Ende des Bürgerkriegs ohnehin die Strukturen des Landes und wird verdächtigt, die eigentliche Macht hinter illegalen Gruppen und dem organisierten Verbrechen zu sein, die sich der Maras als Drogen- und Waffenhändler bedienen.

Honduras Präsident Ricardo Maduro hat sogar ein persönliches Motiv für hartes Durchgreifen. Sein Sohn wurde 1997 von Mara-Mitgliedern ermordet. Seither gilt dort wie inzwischen in allen Nachbarländern null Toleranz. Menschenrechts- und andere Organisationen wie das überregional tätige Straßenkinder-Projekt Casa Alianza kritisieren, dass dabei auch mit schmutzigen Methoden gearbeitet wird. Sogar der jüngste Menschenrechtsbericht der USA spricht von außergerichtlichen Hinrichtungen durch paramilitärische Gruppen, die von der Wirtschaft finanziert werden. Während die offizielle Seite dies leugnet, räumte ein Ex-Funktionär des Sicherheitsministeriums ein: „Es ist einfacher, die Banden zu eliminieren als zu rehabilitieren.“ Genau das – Vorsorge und Rehabilitation – aber fordern Sozialverbände. Eine Studie der Zentralamerikanischen Universität in El Salvador kommt auch zu dem Schluss, dass die Gangs Folge der sozialen Ungleichheit in der Region sind.

Miriam hat gerade ihr zweites Kind auf die Welt gebracht. Vom Vater fehlt jede Spur, von der zerrütteten Familie kann sie keine Unterstützung erwarten. Immerhin: Mit Hilfe von Casa Alianza holt sie jetzt die Grundschule nach.