Samstag, 30. Mai 2009

Im Berg des Teufels

Bolivianische Bergarbeiter sind ein sehr spezielles Völkchen. Sie sind gut organisiert, hart gesottern, arm, stolz auf ihre harte Arbeit und pflegen Bräuche, die europäischen Ohren sehr fremd, zart Besaiteten sogar abstoßend erscheinen mögen.

Da ist zum einen der Tío. Die Teufelsgestalt mit Hörnern am Kopf und einem großen Geschlechtsteil zwischen den Beinen findet sich in jedem Bergwerk. Auch in Candelaria Baja am Cerro Rico von Potosí, durch das mich Oscar führt, steht sie in einer Nische, die einige hundert Meter nach dem Eingang durch einen hüfthohen Gang zu erreichen ist. Wie es sich gehört, zündet ich dort eine Zigarette an und stecke sie der Tonfigur zwischen die Lippen, verstreue über ihr ein para Coca-Blätter und trinke mit meinem Führer den hiesigen Traubenschnaps Singani, hinterlasse einen Becher davon und verteile ein paar Tropfen über der Tonfigur, während Oscar mit ihr redet, als würde sie leben.


Der Tío des Bergwerks Candelaria Baja am Cerro Rico von Potosí

Der Tío beherrscht die Welt hinter dem Eingang zum Bergwerk, in der es keinen Gott mehr gibt. Wenn ihn die Bergarbeiter achten, sorgt er dafür, dass ihnen keine Unfälle passieren und dass sie ordentliche Adern entdecken. Er gehört zur Pachamama, zur Mutter Erde, wie der Ehemann und hat mit dem Teufel eigentlich gar nichts zu tun, auch wenn er so aussieht – aber daran sind die Spanier schuld, wie Oscar sagt.

Der 33-Jährige arbeitete fünf Jahre in Candelaria Baja, bevor er begann, Leute wie mich durch die unterirdischen Gänge zu führen, die zum Teil noch aus der Kolonialzeit stammen und oft genug nur reichen, um auf dem Bauch durchzurutschen. Platzangst jedenfalls sollte man nicht haben, wenn man bis in die dritte Galerie hinabsteigt, 70 Meter in die Tiefe und weit in den Bauch des Bergs hinein, wo es richtig heiß ist. Hypochonder sollte man auch nicht sein: Der Staub und die giftigen Dämpfe sind alles andere als gesund. Nach zehn bis 15 Jahren unter Tage ist ein Bergarbeiter normalerweise todkrank.

Nicht nur die Gänge von Candelaria Baja stammen zum Teil noch aus der Kolonialzeit. Die Technik, mit der hinterher das Silber mittels Chemikalien aus dem Stein gelöst wird, wurde schon im vorigen Jahrhundert verwandt, und die Werkzeuge, mit denen die Männer unter Tage arbeiten, sind ebenfalls aus den Zeiten anderer Generationen. Auf dem Bergarbeitermarkt sind sie zu sehen: Dynamitstangen, Karbitlampen, Meißel, handbewegte Loren. Dort gibt es aber auch die Coca-Blätter und den 96-prozentigen Alkohol zu kaufen, der zum Trinken mit Wasser gemischt wird.


Ein Modell des Cerro Rico.



Chemische Behandlung des Gesteins zur Lösung des Silbers.



Silber in Pulver am Ende des Prozesses.

Alkohol und Coca-Blätter sind an diesem Samstag besonders wichtig, denn heute wird nicht gearbeitet, sondern gefeiert. Es ist der Tag, dem Tío und der Pachamama Dank zu sagen, ihren Hunger zu stillen und um Glück fürs nächste Jahr zu bitten. Schon seit dem Morgen verkaufen die Bauern aus der Umgebung auf einer Straße in der Nähe des Bergarbeitermarktes Lamas.


Auf dem Lamamarkt in Potosí.




Die Truppe von Candelaria Baja hat vier Lamas an den Eingang ihres Stollens gebracht und ist schon ordentlich betrunken. Plötzlich stellen die Männer den Schnaps beiseite, packen eines der Tiere, legen es seitlich auf den Boden, halten Kopf und Beine fest, drücken den Körper nieder, stopfen ihm Coca-Blätter in den Mund und träufeln Alkohol hinterher. Dann sticht einer zu und schneidet.
Das Blut läuft aus der offenen Kehle in eine Schüssel. Der Chef der Truppe nimmt die Schüssel und schleudert das Lamablut gegen den Eingang des Bergwerks. Viermal geht das so, nicht gerade zielgenau, auch die Arbeiter kiegen was ab. Mit der letzten Schüssel geht der Chef durch die Reihen, taucht seine Hand ein und schmiert das Blut auf die Wangen der Männer. Auch das soll Glück bringen.
Alles ist blutbespritzt, und die vier Lamas liegen tot vor dem Stolleneingang auf der Erde. Die Männer häuten die Tiere und schneiden die Innereien heraus, trennen Kopf und Füße ab und legen sie so zurecht, als würde das Lama noch leben. Andere heben eine Grube vor dem Eingang aus, darin werden später die Reste begraben – für Pachamama und den Tío. Währenddessen haben die Frauen ein Feuer entfacht, auf dem sie das Fleisch braten. Aus der Nähe sind Dynamitexplosionen zu hören, die Erde zittert ein bisschen.
Am Cerro Rico arbeiten ein privates Unternehmen und 43 Bergarbeiterkooperativen. Die Kooperativen betreiben jeweils mehrere Stollen. Manchmal treffen sich die Arbeiter verschiedener Kooperativen unter Tage, dann gibt es Ärger. Der Berg ist nach jahrhundertelanger Ausbeutung löchriger als ein Schweizer Käse und kann jeden Moment in sich zusammenbrechen - das wäre dann das traurige Ende eines traurigen Symbols für Kolonialismus und Kapitalismus, Ausbeutung und Armut.

Mitten im Ritual zu Ehren von Pachamama, das die Bergarbeiter unter Tage beschützen und ordentlich Silber bringen soll.


Nach der Lama-Opferung vor dem Eingang des Bergwerks.



Mit soviel Lamablut im Gesicht sollte es am Glück nicht mehr fehlen...


Freitag, 29. Mai 2009

Schlaflos in Potosí

Ich hatte nicht nachgeschaut im Führer und auch nicht gefragt vor der Reise und nur die Vorstellung, Potosí müsste sehr viel höher liegen als La Paz und sehr viel kälter sein. Zum ersten Mal überhaupt kaufte ich Pillen gegen die Höhenkrankheit. Steckte alle meine Strumpfhosen und die Alpakasocken in den Koffer, zog meinen Daunenanorak und die dicken Winterschuhe an und hoffte, dass das Hotel Heizung haben würde.

Die Pillen brauchte ich gar nicht, aber die erste Nacht im Hotel "Cerro Rico Velasco" war trotzdem die Hölle. Ich schaffte es nicht, die Heizung auszuschalten, und konnte wegen der Wärme die ganze Nacht nicht schlafen. Mein Kollege Héctor saß anderntags wie ich mit tiefen Augenringen am Frühstückstisch. Als wir uns auf den Weg in das lokale Büro der Defensoría del Pueblo machten, waren wir beide froh, aus der ungewohnten Hotelhitze in die kalte, klare Morgenluft zu treten und den eisigen Winterwind an den Backen zu spüren.
Und ich schwor mir: Nie wieder Hotel mit Heizung!

Donnerstag, 28. Mai 2009

Der reiche Berg


Von etwas besonders Wertvollem sagt man noch heute, wenn auch in etwas veraltetem Spanisch: "Vale un Potosí." - "Das ist einen Potosí wert." Die Stadt Potosí im zentralen Hochland von Bolivien (4070 Meter) machte Geschichte wegen des "Cerro rico", des "reichen Bergs". Aus dem holten die Spanier so viel Silber heraus, dass man davon eine Brücke nach Europa hätte bauen können - und eine zweite aus den Knochen der Millionen von indigenen und schwarzen Sklaven, die in den Bergwerken des Hügels über die Jahrhunderte der spanischen Kolonialzeit den Tod fanden.
Die Kolonialzeit ist vorüber, viel Silber ist im Berg nicht mehr zu finden, und die Rohstoffpreise sind ohnehin gerade im Keller. Was immer über das heutige Potosí erzählt wird, klingt in der Regel nicht sehr heimelig. Eine arme Stadt in unwirtlichen Höhen mit kaltem Klima und einer Unzahl sozialer Konflikte. Aber wenn ich die Wahl hätte zwischen dem heißen und feuchten Santa Cruz im Tiefland und dem kalten und trockenen Potosí im Hochland - ich würde, ohne eine Sekunde zu zweifeln, nach Potosí gehen. Tatsächlich ist es nämlich eine hübsche Kleinstadt mit Kolonialarchitektur, kleinen Gassen, kolossalen Kirchen, sehr netten Bewohnern und einem wunderbaren Blick.












Sonntag, 10. Mai 2009

Traum vom Glück


Der größte Traum der Mittelklassemädels aus der Defensoría del Pueblo, mit denen ich regelmäßig mittagessen gehe, ist ein europäischer Mann. Meine Kollegin Ximena, mit der ich das fensterlose Zimmer im Erdgeschoß teile, hat schon einen Mann, einen bolivianischen. Auf den ist sie zurzeit aber nicht gut zu sprechen.
Der größter Traum ihres Ehemannes ist Spanien. Deshalb sitzt Ximena seit Januar mit ihrem zweijährigen Sohn Nicolas alleine in Bolivien, während er in Madrid ohne Erfolg Arbeit sucht und nicht daran denkt zurückzukehren. Ihren ersten Hochzeitstag vorige Woche verbrachte die Kollegin mit ihrem Papa und Nicolas und ohne Mann am Titicacasee.
Neuerdings redet Ximena deshalb von ihrem "Ex-Mann". "So lange er mir kein Geld schickt, braucht er sich gar nicht erst zu melden!", schimpfte sie kürzlich unter Tränen. Ich musste ihm am Telefon sagen, sie sei nicht da. Der Traum vom Glück kann auch sehr schmerzhaft sein.