Bolivianische Bergarbeiter sind ein sehr spezielles Völkchen. Sie sind gut organisiert, hart gesottern, arm, stolz auf ihre harte Arbeit und pflegen Bräuche, die europäischen Ohren sehr fremd, zart Besaiteten sogar abstoßend erscheinen mögen.
Da ist zum einen der Tío. Die Teufelsgestalt mit Hörnern am Kopf und einem großen Geschlechtsteil zwischen den Beinen findet sich in jedem Bergwerk. Auch in Candelaria Baja am Cerro Rico von Potosí, durch das mich Oscar führt, steht sie in einer Nische, die einige hundert Meter nach dem Eingang durch einen hüfthohen Gang zu erreichen ist. Wie es sich gehört, zündet ich dort eine Zigarette an und stecke sie der Tonfigur zwischen die Lippen, verstreue über ihr ein para Coca-Blätter und trinke mit meinem Führer den hiesigen Traubenschnaps Singani, hinterlasse einen Becher davon und verteile ein paar Tropfen über der Tonfigur, während Oscar mit ihr redet, als würde sie leben.
Der Tío des Bergwerks Candelaria Baja am Cerro Rico von Potosí
Der Tío beherrscht die Welt hinter dem Eingang zum Bergwerk, in der es keinen Gott mehr gibt. Wenn ihn die Bergarbeiter achten, sorgt er dafür, dass ihnen keine Unfälle passieren und dass sie ordentliche Adern entdecken. Er gehört zur Pachamama, zur Mutter Erde, wie der Ehemann und hat mit dem Teufel eigentlich gar nichts zu tun, auch wenn er so aussieht – aber daran sind die Spanier schuld, wie Oscar sagt.
Der 33-Jährige arbeitete fünf Jahre in Candelaria Baja, bevor er begann, Leute wie mich durch die unterirdischen Gänge zu führen, die zum Teil noch aus der Kolonialzeit stammen und oft genug nur reichen, um auf dem Bauch durchzurutschen. Platzangst jedenfalls sollte man nicht haben, wenn man bis in die dritte Galerie hinabsteigt, 70 Meter in die Tiefe und weit in den Bauch des Bergs hinein, wo es richtig heiß ist. Hypochonder sollte man auch nicht sein: Der Staub und die giftigen Dämpfe sind alles andere als gesund. Nach zehn bis 15 Jahren unter Tage ist ein Bergarbeiter normalerweise todkrank.
Nicht nur die Gänge von Candelaria Baja stammen zum Teil noch aus der Kolonialzeit. Die Technik, mit der hinterher das Silber mittels Chemikalien aus dem Stein gelöst wird, wurde schon im vorigen Jahrhundert verwandt, und die Werkzeuge, mit denen die Männer unter Tage arbeiten, sind ebenfalls aus den Zeiten anderer Generationen. Auf dem Bergarbeitermarkt sind sie zu sehen: Dynamitstangen, Karbitlampen, Meißel, handbewegte Loren. Dort gibt es aber auch die Coca-Blätter und den 96-prozentigen Alkohol zu kaufen, der zum Trinken mit Wasser gemischt wird.
Chemische Behandlung des Gesteins zur Lösung des Silbers.
Silber in Pulver am Ende des Prozesses.
Alkohol und Coca-Blätter sind an diesem Samstag besonders wichtig, denn heute wird nicht gearbeitet, sondern gefeiert. Es ist der Tag, dem Tío und der Pachamama Dank zu sagen, ihren Hunger zu stillen und um Glück fürs nächste Jahr zu bitten. Schon seit dem Morgen verkaufen die Bauern aus der Umgebung auf einer Straße in der Nähe des Bergarbeitermarktes Lamas.
Auf dem Lamamarkt in Potosí.
Mitten im Ritual zu Ehren von Pachamama, das die Bergarbeiter unter Tage beschützen und ordentlich Silber bringen soll.
Nach der Lama-Opferung vor dem Eingang des Bergwerks.