Montag, 7. November 2005

Der Mut von Managua

Immerhin, seit Montag vergangener Woche gibt es ein Urteil: Der Taxifahrer, der im August den Journalisten Ronny Adolfo Olivas nächtens auf offener Straße erschossen hat, muss für 25 Jahre ins Gefängnis. Die Hintergründe der Tat in der nicaraguanischen Provinzstadt Estelí aber klärte das Gericht nicht: Olivas hatte wenige Tage zuvor drei telefonische Todesdrohungen erhalten. Der 47-Jährige war den Geschäften einer Drogenmafia auf der Spur und hatte mehrere Artikel darüber in La Prensa, der größten Tageszeitung des mittelamerikanischen Landes, veröffentlicht. Seine Recherchen legen nahe, dass auch die lokale Polizei in die illegalen Machenschaften verwickelt ist.

„Gewalt gegen Journalisten war in Nicaragua nie eine Konstante wie etwa in Guatemala oder anderen lateinamerikanischen Ländern“, sagt der Kommunikationswissenschaftler Guillermo Cortés aus Managua. Das hat sich inzwischen allerdings geändert – Ronny Adolfo Olivas war bereits das dritte Opfer innerhalb von 18 Monaten.

Im Februar 2004 erschoss ein militanter Sandinist in Managua den Parteikollegen Carlos Guadamuz, der als Fernsehmoderator wiederholt die eigene Parteiführung kritisiert hatte. Neun Monate später wurde im Zentrum des Landes die 26-jährige Journalistin María José Bravo umgebracht, während sie für die Tageszeitungen La Prensa und Hoy Vorwürfen des Wahlbetrugs nachging. In der aktuellen Rangliste der Journalistenvereinigung Reporter ohne Grenzen zum weltweiten Zustand der Pressefreiheit landete Nicaragua trotzdem im besseren Mittelfeld – auf Platz 67.

Die Organisation Reporter ohne Grenzen tritt für den Schutz von Journalisten in Kriegs- und Krisengebieten ein. Ihr diesjähriger Bericht von Ende Oktober dokumentiert die Situation in 166 Ländern und beruht auf einer Befragung von Journalisten, Rechercheuren, Juristen und Menschenrechtlern zu gewalttätigen Übergriffen, Morden und Verhaftungen sowie zu politischen, rechtlichen und ökonomischen Einflüssen. Das Ergebnis: Während sich die Situation zwischen September 2004 und August 2005 in einigen westlichen Ländern (vor allem in den USA) verschlechterte, verbesserte sie sich in Lateinamerika.

Aber wie sieht diese Verbesserung in der Realität aus? Die Militärdiktatoren herrschen zwar nicht mehr auf dem Kontinent. Doch abgesehen davon, dass Journalisten in Lateinamerika selbst für dortige Verhältnisse ausgesprochen miserabel verdienen, brauchen sie immer noch sehr viel Mut. Ihre Arbeit ist nach wie vor gefährlich. Dabei sind die Arten der Bedrohung mindestens so unterschiedlich wie die einzelnen Länder.

El Salvador zum Beispiel rangiert in der Rangliste von Reporter ohne Grenzen unter den Besten, auf Platz 28 – und damit noch vor Frankreich und Australien. In dem mittelamerikanischen Land kam im vergangenen Jahr kein Reporter um. Allerdings regiert dort die Selbstzensur. Während des Wahlkampfes 2004 spotteten viele über „Saca-Televisión“: Präsidentschaftskandidat Elías Antonio Saca, Vertreter der Wirtschaftsoligarchie und Medienunternehmer, gewann die Wahl, kleinere Oppositionsparteien waren praktisch totgeschwiegen worden. Unter den Schlusslichtern des amerikanischen Kontinents findet sich Peru: In dem Andenstaat kam ebenfalls kein Reporter um. Allerdings weiß die Vereinigung dort von mehr als 60 Fällen, in denen Journalisten eingeschüchtert, bedroht oder angegriffen wurden.

Aufgeklärt werden solche Angriffe in vielen Ländern nicht. Auch nicht in Guatemala. Deshalb recherchierte der Chef der dortigen Tageszeitung El Periódico, José Ruben Zamora, notgedrungen selbst, wer ihn im Juni 2003 attackiert hatte: Zwölf schwer bewaffnete und unmaskierte Männer hatten ihn und seine Familie zu Hause überfallen und waren erst nach drei Stunden wieder abgezogen – mit dem Rat, keine Artikel mehr gegen „die da oben“ zu veröffentlichen. Zamora hatte über Korruption in der Regierung und über parallele Machtstrukturen aus Militärs und organisiertem Verbrechen geschrieben. Der Zeitungschef identifizierte vier Täter, immerhin zwei wurden aufgrund seiner Hartnäckigkeit verhaftet und angeklagt. Doch das Gericht verurteilte im Februar dieses Jahres nur einen. Die zwölf Männer waren frühere Mitglieder des Geheimdienstes.

Bis zur Anklage kam es im Fall des ecuadorianischen Journalisten Fernando Oña Pardo erst gar nicht. Der Mitherausgeber des Zweiwochenblattes Opción hatte sich im April in der Hauptstadt Quito in einem Restaurant an einen Tisch gesetzt, als drei Männer hereinkamen, eine Waffe zogen und ihn davor warnten, weiter gegen die Regierung zu schreiben. Die hatte sich da schon so unbeliebt gemacht, dass Präsident Lucio Gutiérrez kurz darauf des Amtes enthoben wurde und ins Ausland flüchtete. Während der vorausgegangenen Massenproteste war in den Tränengasschwaden des Militärs ein chilenischer Reporter ums Leben gekommen.

Aber nicht nur Selbstzensur und direkte Angriffe – von staatlicher Seite oder aus Kreisen des organisierten Verbrechens – behindern die Arbeit von Journalisten in Lateinamerika. In Brasilien stammt das Pressegesetz zum Beispiel noch aus der Zeit der Militärdiktatur, und das Recht auf den Zugang zu Informationen ist nur in den wenigsten Ländern gesetzlich festgeschrieben.

Neben der juristischen Gängelung gibt es die ökonomische: Regierungen bestimmen über Sendelizenzen und die Vergabe staatlicher Werbung, die gerade bei kleinen Medien über Leben oder Tod entscheidet. Und auch wenn Reporter ohne Grenzen zu dem Schluss kommt, dass Länder wie der fragile Andenstaat Bolivien Beleg dafür seien, dass Demokratie und die Achtung der Menschenrechte nicht zwingend von der wirtschaftlichen Entwicklung abhängen, so beeinträchtigen wirtschaftliche Strukturen doch ganz erheblich die Pressefreiheit.

Wie zum Beispiel in Nicaragua: Das Wirtschaftsleben dort wird vom Familienkonzern Pellas bestimmt. Für den Bau des monströsen Unternehmenssitzes in Managua wurden der Firmengruppe – mit fadenscheiniger Begründung – Steuern in Höhe von drei Millionen Dollar erlassen. Der freie Journalist Carlos Fernando Chamorro, jahrelang einer der beliebtesten Fernsehmoderatoren im Land, hatte das Thema als Einziger aufgegriffen – und sich damit fast ruiniert. Der Konzern zog nach der Veröffentlichung seine Anzeigen aus Chamorros Fernsehsendung und Wochenzeitung zurück. „Wenn Pellas in einem Medium seine Anzeigen storniert, kann das zusperren“, sagt Medienwissenschaftler Cortés.

Damit nicht genug: Die Firmengruppe Pellas ist selbst eine Größe in Nicaraguas Medienlandschaft. Ihr gehören neben einem Dutzend anderer marktbeherrschender Unternehmen auch eine bedeutende PR-Agentur, ein Fernsehsender und der Monopolist im Kabelfernsehen – und obendrein verantwortet ein Pellas-Manager als Verbandsfunktionär die Erhebung der TV-Quoten.

Ein Thema ist das in Nicaragua natürlich nicht.