Mittwoch, 28. Februar 2007

Lima im Februar

Nach der ersten schwuelheissen Nacht stehe ich um neun Uhr morgens bereit. Das Programm sieht eine Stadtfuehrung vor. Nach fuenf Stunden sagt der junge Ethnologe: „Es ist lustig, wie die Touristen waehrend der Fuehrung immer die Farbe wechseln.“ Ich kann nicht lachen, das würde wehtun im Gesicht. Auf der Rueckfahrt schlafe ich im Auto ein.

Zweiter Tag, Antrittsbesuch beim Botschafter. Ich habe meinen Pass vergessen, sie lassen mich trotzdem rein. Der Botschafter pieckst bei jedem Wort mit seinem Stift das Blatt Papier auf dem Schreibtisch vor sich auf und verschwindet nach 15 Minuten wieder. Geruechte sagen, dass er ganz schlecht Spanisch spricht. Inzwischen weiss ich, dass die Geruechte stimmen.

Dritter Tag, Vollversammlung der deutschen Kollegen und der peruanischen Partnerorganisationen im Luxushotel ausserhalb von Lima. Ich habe praktisch noch keinen einzigen Satz Spanisch gesprochen, bin absolut desorientiert und schwitze wie ein Schwein. Als erstes laufe ich meinem zukuenftigen peruanischen Chef uebern Weg. „Wir haben ja noch viel Zeit zum Reden“, sage ich nach ein paar Hoeflichkeitsfloskeln und verdruecke mich schleunigst.

Mittags lande ich mit eben diesem Chef und sechs peruanischen Kollegen aus anderen Abteilungen der Bürgerrechtsbehörde an einem Tisch. Ich fuehle mich wie in einer Schlangengrube, weiss aber nicht recht, welche Schlange giftig ist. Nur eines weiss ich schon: Mit dem sympathischen jungen Mann neben mir sollte ich keinesfalls zuviel plaudern, das ist der Erzfeind meines Chefs.

Vier Tage spaeter ist die Vollversammlung vorbei. Ich fahre mit dem Bus in das Stadtviertel am Meer, trinke in Miraflores ueber der Steilkueste Espresso, geniesse den Sonnenuntergang und habe zum ersten Mal das Gefuehl, ich sei in Lima. Da ich nicht herausfinde, wo der Bus zurueck abfaehrt, nehme ich ein Taxi. Der Fahrer erklaert mir ungefragt an der zweiten Ampel, dass Peruaner eher auf juengere Frauen stehen.

Sonntags schnappe ich mir den Comercio mit den Wohnungsanzeigen und vereinbare Besichtigungstermine. Die meisten Appartements sind zu teuer. „Muss es unbedingt Miraflores sein?“, will der Taxifahrer wissen. Er zahlt nur 60 Dollar im Monat. Ich frage nicht, wo er wohnt, und treffe beim naechsten Termin die Maklerin von gerade eben. Mit mir wollen 20 Peruaner die Wohnung sehen. Wir passen gar nicht alle rein.

Letzter Besichtigungstermin. Appartement mit Blick aufs Meer. Innerhalb von 15 Minuten bin ich mit der Maklerin handelseinig. Die Besitzerin wohnt in der Schweiz und holt mich von diesem Tag an jeden Morgen mit einer neuen finanziellen Forderung aus der Dusche, die ich später per E-Mail zurueckweise. Abends beim Heimkommen sage ich Marie-Lu, die mein Zimmer putzt, ich sei nur noch zwei Naechte da. Morgens beim Rausgehen sage ich Señora Margerita, dass ich noch einige Tage bleibe.

Drei Tage spaeter ruft Daniel an. Der Sohn der Wohnungsbesitzerin, die in der Schweiz wohnt, fragt mich, ob ich Hockey spiele und will mit mir Toepfe kaufen gehen. Abends steht der halbe Meter mit einem Schrott-Volvo vor meiner Tuer. „Lass uns in den Club fahren!“ Er fuehrt mich durch den teuersten (Freizeit)Club der Hauptstadt wie eine Trophaee und denkt zu Recht, dass ich über ihn lache. Er laedt mich auf eine Cola ein und beginnt ohne Pause zu quatschen. Die dreckigen Bauern sollen bleiben, wo sie sind. Lima gehoert uns. Die cholos stinken, pissen ueberall hin, koennen nicht Auto fahren und produzieren nur Chaos. Ich sage, dass ich aus einer Bauernfamilie komme, bei einer Buergerrechtsbehörde arbeite, und verabschiede mich hoeflich. Der fuer den anderen Tag anberaumte Notartermin zur Unterzeichnung des Mietvertrags wird kurzfristig abgesagt.

Ich muss noch einmal einreisen. Ich hatte statt des offiziellen Dienstreisepasses des Auswaertigen Amtes meinen eigenen benutzt, und nun bekomme ich kein Visum. Ich kriege die zweitgünstigste Variante zugebilligt und setze mich in Flugzeug und Bus und bin schlappe zwei Tage spaeter in Copacabana, Bolivien.

Abends schaffe ich es noch, mit einem Bier den Sonnenuntergang über dem Titicacasees anzuschauen. Am anderen Morgen um zehn hat es sechs Grad. Frühstück nur bis halb zehn. Ich bettel den Küchenjungen um eine Tasse Tee an. Als ich mich bedanke, drückt er mich plötzlich von hinten an sich. Wenn ich auf mein Zimmer gehe, schließe ich die Tür von nun an sofort mit dem Schlüssel ab.

Mittags fahre ich mit einem Boot zur Isla del Sol, der Wiege der Menschheit, dem heiligen Stück Erde im Titicacasee. Wir passieren eine Station der bolivianischen Marine, die mangels Meer auf dem See übt. „Das Meer gehört uns“, steht auf der Marine-Mauer.

In Copacabana wird das ganze Wochenende die Jungfrau gefeiert. Auf dem Dorfplatz tanzen hunderte, festlich gekleidete und verkleidete Hochland-Indianer, bewerfen sich mit Konfetti, behängen sich mit Luftschlangen, besprühen sich mit Schaum und betrinken sich. Und betrinken sich. Und betrinken sich. Der letzte Schluck landet immer auf dem Boden. Eine Gabe an Pachamama, Mutter Erde. Eine der Kapellen muss einmal den Film Bluesbrothers gesehen haben.

Rückreise nach Peru. In dem dunklen Schuppen lege ich dem Grenzbeamten meinen unbefleckten Dienstreisepass des Auswärtigen Amtes auf den Schreibtisch. Er schaut jede einzelne Seite dreimal durch. Ohne bolivianischen Ausreisestempel kriege ich keinen peruanischen Einreisestempel, ohne den ich kein Visum kriege. Irgendwann schaut sich Chef meinen zweiten Pass an und hat Mitleid mit mir. Ich HÜPFE in den Bus. Trotz der dreitausendachthunderundichweißnichtwievielen Höhenmeter.

Fünf Stunden später sitze ich am Flughafen von Juliaca. Noch drei Stunden bis zum Abflug, der mir 25 Stunden Bus erspart. Ich bin alleine und schaue auf die grasenden Kühe vor der Abfertigungshalle. Paris, Texas. Ich habe das Gefühl, ich sei schon seit Monaten unterwegs. Ich bin dann doch die Letzte beim Einchecken. Zwei japanische Reisegruppen tauchten plötzlich aus dem Nichts auf.

Nach vier Tagen wieder in Lima. Es ist halb zehn Uhr nachts, und im Laden um die Ecke kaufe ich Obst. „Mamita, sonst noch was?“, schreit mir die Alte ins Ohr. Seit dem Ausflug habe ich entzündete Nebenhöhlen, seit dem Flug verstopfte Ohren. Und die Gewissheit, dass ich gelandet bin.

P.S. Gerade eben sehe ich in meinen E-Mails: Ich soll die Wohnung mit Blick aufs Meer jetzt doch kriegen – wenn ich....

Donnerstag, 8. Februar 2007