Samstag, 28. April 2007

Lima im April


Es ist endgültig Winter. Während Ihr in Deutschland in der frühsommerlichen Hitze brütet und in Ebersberg schon das erste Mal im Steinsee gebadet habt, krame ich jeden Morgen einen dickeren Pullover aus dem Schrank. Es ist kalt und feucht geworden hier in Lima. Nicht dass es regnen würde. In Lima regnet es NIE. Und nicht dass es grün wäre. Lima liegt in der Wüste. Aber Humboldtstrom und Mikroklima produzieren zwischen April und Weihnachten in der Stadt den berüchtigten Limeñer Nebel. Den Winter eben.

Im Moment verhüllt der Nebel nur die Sonne, macht einen bleiernen Himmel, der sich in seltenen Momenten öffnet und ein stecknadelgroßes Fleckchen Blau freigibt. Später im Jahr aber wird der Nebel zwischen die Hochhäuser sinken, sich etwa in der Höhe des zehnten Stockwerks festfressen und die Luft mit seinen kleinen schwebenden Tropfen sättigen. Brutstätte für Atemwegserkrankungen und Depressionen. Wer kann, flieht dann an jedem freien Tag aus der Stadt in die umliegenden Berge, wo es zu dieser Jahreszeit warm ist und die Sonne scheint.

Nun stehen wir am Anfang des Winters, aber ich hatte schon im April die Probleme, die ich eigentlich erst im August erwartet hatte. Ich kam mir in meiner Wohnung manchmal vor wie die tuberkulosen Trockenwohner im Berlin der dreißiger Jahre, die Hans Fallada in seinen Büchern beschreibt. Es trocknet nämlich überhaupt nichts. Das Bett wurde jede Nacht noch ein bisschen klammer, die Handtücher begannen nach einem Tag zu riechen, im Schrank ist mir die erste Jacke verschimmelt, und die Vorhänge krabbeln mir wahrscheinlich bald davon. Was für ein Glück also, dass der Mensch den Baumarkt erfunden hat.

Heizungen in den Wohnungen gibt es nicht, aber zum Grundprodukt eines ordentlichen Limeñer Baumarkts gehören Heizstäbe für den Schrank. Ich habe mich allerdings für die Generallösung entschieden: den Deshumecedor. Ein Luftentfeuchter, der mir beim ersten Einsatz aus dem Schlafzimmer in zwei Stunden drei Liter Wasser zog. Das Hochleistungsgerät lasse ich jetzt reihum in meinen Räumen laufen. Seither ist es wieder schön wohlig bei mir - wenn man mal von meinem zweiten Wasserschaden im Bad absieht. Aber den repariert der Handwerker gerade.

Angesichts dieses Winterwetters also kam mir meine erste Dienstreise gerade recht. Ich durfte nach San Ignacio fahren. Das liegt an der ecuadorianischen Grenze, tausendundeinpaarhundert Kilometer entfernt auf 1500 Metern Höhe, und die Anreise dauerte einen ganzen Tag: anderthalb Stunden Flug nach Chiclayo, sechs Stunden Busfahrt nach Jaén, drei Stunden im Pickup mit Vierradantrieb bis zum Ziel. Wenn dort nicht hin und wieder Palmen und anderes exotische Gestrüpp zu sehen wäre, könnte man sich in den österreichischen Voralpen wähnen. So war dann auch das Wetter - ich kam praktisch direkt, na ja, von der Traufe in den Regen.

Der Weg nach San Ignacio

In Jaén schaute ich mir zwei Projekte des Deutschen Entwicklungsdienstes (DED) an. Ich besuchte das lokale Büro meiner Behörde und einen alten spanischen Jesuitenpfarrer, der ein vielfach prämiertes Bauernradio leitet und dessen Mitarbeiter mit den Augen rollen, wenn er spricht. In San Ignacio asistierte ich in einem viertägigen Konfliktworkshop für die lokale Elite: Gemeindeangestellte, Waldarbeiter, freiwillige Hilfspolizisten, Naturschützer, Mitglieder des Verbands gegen die Armut. Das Hauptproblem ist der Kampf um die Ressourcen: illegaler Holzeinschlag, Wasserknappheit, Bodenschätze. Dazu kommen die Korruption, Feindschaft zu den Indianergemeinden in der Nachbarschaft, Drogenhandel und organisierte Kriminalität innerhalb und außerhalb von Polizei und Justiz. Kürzlich wurde in der Gegend ein Journalist erschossen, weil er genau darüber zuviel recherchierte.

Jaén

In San Ignacio gibt es eine geteerte Straße. Die ganze Woche über watete ich mit lehmverkrusteten Schuhen und dreckbespritzter Hose von Pfütze zu Pfütze, während mir die kleinen Kinder mit großen Augen nachschauten, und schon am ersten Tag fraßen mich die Zangudos auf. Die kleinen Biester hatten meine Arme und Beine trotz langer Hosen und Ärmel mit roten Punkten übersäht. Gegen die Beulen der entzündeten Stiche trieb ich eine Salbe aus Schneckenschleim und Aloe Vera auf. Das half. Dass ich in Dengue-Gebiet saß, stellte ich zum Glück erst hinterher fest. Gegen die Krankheit kann man ohnehin nichts machen.


San Ignacio

Nachts erschlug ich die Kakerlaken, schlief dann in meinem fensterlosen Zimmer eingehüllt in den Lärm der Kneipe und einer Batterie von Fernsehern, morgens stellte ich mich mit Gänsehaut unter die kalte Dusche, aß gekochten Maniok zum Frühstück und dreimal am Tag einen Berg klebrigen Reis. Einmal gab´s dann gegrilltes Meerschweinchen. Ich hörte mir die Sorgen eines jeden einzelnen an, und nach einer Woche hatte ich auch wieder genug. Ich machte mich auf die eintägige Heimreise – mit reichem Gepäck.

Der Workshop

Ich bin einem Haufen netter Menschen begegnet, habe jede Menge dazugelernt, endlich die Struktur des peruanischen Staates verstanden, kapiert, dass die freiwilligen Hilfspolizisten nicht immer nur hemmungslose Schlägertrupps sind, dass Lima ganz weit weg ist, dass dieses Land auch als tickende Zeitbombe verstanden werden könnte.

Zwischen San Ignacio und Jaén

Bei der Heimfahrt schlug ich die Zeitung auf. Die Kokabauern aus dem Alto Huallaga riefen zum Generalstreik und zum Marsch auf Lima auf, die Minenarbeiter bereiteten einen Generalstreik im ganzen Land mit Blockade der Bergbauunternehmen vor, in der Region Ancash gibt es Generalstreik mit Straßenbarrikaden, auch in Piura kracht es seit kurzem, in Lima befinden sich seit Tagen Lehrer und Krankenhauspersonal im Ausstand, und wegen zig anderer Konflikte gibt es außerdem irgendwo immer zwischen irgendwem Verhandlungen. Irgendwas vergessen? Mit Sicherheit. Ist was? Nee. Alltag. Alles ganz normal.

Und was tu ich jetzt hier? Na ja, wenn ich das selber richtig weiß, schreib ich´s auf.