Montag, 24. März 2008

Die Hände des Protests


Vor vier und vor drei Jahren hatte ich schon mal versucht, das Museum des ecuadorianischen Malers Eswaldo Guayasamin in Quito zu besuchen, aber es hatte immer geschlossen. Beim dritten Anlauf jetzt hat es endlich geklappt - und es lohnt den mühevollen Aufstieg auf den Berg!
"Las manos de la protesta N13" sind aus dem Zyklus "Das Zeitalter der Wut" und in Ecuador an allen möglichen Hauswänden zu finden - Überbleibsel der heftigen Sozialproteste im Land, die 2005 zur Flucht des Staatschefs Lucio Gutiérrez führten und nach einem anderthalbjährigen Zwischenspiel von Alfredo Palacio zur Wahl des aktuellen Präsidenten Rafael Correa.

Donnerstag, 20. März 2008

Ein Komposthaufen im Spätherbst

Was ist eigentlich aus meinem Gepäck geworden? Wasti hat es dankenswerterweise am Münchner Zoll ausgelöst und dann folgende Mail geschrieben:

"Liebe Ursel,

so, Deine blauen Tonnen stehen im Keller. Sie auszulösen, war einfach, wenn auch etwas kurios. Der Frachtflughafen ist durchaus eindrucksvoll und sehr modern, der Zoll hingegen wie eine Behörde von ganz früher. Ein übellauniger, dicker, sehr bayerischer Beamter, den man sich hervorragend nach Feierabend im Bierstüberl "Beim Willy" vorstellen kann, wollte alles ganz genau wissen.

Eingangsabgabebefreiung? -
"Ja ham Sie denn an Eingangsabgabebefreiungsantrag g'stellt?"
"Nein, ich wusste nicht, dass es einen solchen gibt. Aber ich habe ja eine Eingangsabgabenbefreiung."

Er überlegte offenbar, wie man eine solche haben kann, wenn man keinen Eingangsabgabebefreiungsantrag gestellt hat.

"Ah so. Hmmm. Was habn'S da drin?"
"Diplomatengepäck!"
"Alles gebraucht?"
"Hausstand."
"Ah."

Dann hat er eine Zeitlang in seinen Computer geschaut und dann aber wirklich alle verschiedenen Stempel seines Stempelkarussells zum Einsatz gebracht. Aber seeeehr langsam. Derweil haben seine Kollegen im Hintergrund disktutiert, ob Kosovo jetzt noch Serbien sei, und wie man mit Waren von dort zu verfahren habe. Sie hatten davon soviel Ahnung wie von einer Eingangsabgabenbefreiung für Diplomatengepäck. Jetzt weiß ich, was Helmi manchmal mitmacht.

Zuhause habe ich dann festgestellt, dass alle Schlösser an Deinen Tonnen fachmännisch aufgebrochen waren. Sie hatten also schon einen tiefen Blick reingeworfen. Wahrscheinlich aber haben sie nicht weitergestöbert, weil es sie umgehauen hat. Einige Kleidungsstücke waren noch richtig feucht. In den Tonnen riecht es wie in einem Komposthaufen im Spätherbst, wenn die Schwammerl sprießen. Oder wie in einem Zeltsack, wenn man das Zelt im Urlaub bei Regen eingepackt und danach ein Jahr nicht aufgemacht hat.

Ich hab jetzt schon einen Schwung Deiner Sachen gewaschen, aber trotz literweise Weichspüler krieg ich den Muff nicht richtig raus. Muss ich mal alles auf den Balkon stellen, wenn es hier richtig warm und trocken ist . . ."

Meine 20 Kilo Habseligkeiten, die ich mit nach Quito genommen habe, riechen übrigens ähnlich - es hat mich schier umgehauen, als ich meinen Rucksack aufgemacht habe und mir die feuchte Luft aus Lima aus meinen Klamotten entgegenschlug . . .

Dienstag, 18. März 2008

Ministerin auf dem Müllberg




Das Heilige Tal ist eine Welt in Grau: Am Fuße der Wüstenberge säumen unverputzte Mauern aus hässlichen Betonziegeln die Sandpisten. Julia Sayán Mendoza öffnet die Tür zu ihrem Grundstück. Die 33-Jährige Slumbewohnerin hat heute ungewöhnlichen Besuch: Die deutsche Entwicklungshilfeministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul. Sie führt ihren Gast an der Hütte vorbei bis zur Außenmauer und deutet in den Nachbarhof. Dort liegt massenhaft Müll: Plastiksäcke, Schläuche, gebrauchte Kanülen und Spritzen. „Das ist Krankenhausabfall. Manchmal habe ich auch schon amputierte Arme entdeckt.” Die Ministerin aus Deutschland wendet sich entsetzt ab.


Das Heilige Tal ist ein unwirtlicher Ort am Nordrand von Perus Hauptstadt Lima, der zweitgrößten Wüstenstadt nach Kairo. Es ist eines von 52 Elendsvierteln im Distrikt Carabayllo und ein drastisches Beispiel für die Probleme des Landes. Die Ministerin besucht Peru in der Karwoche in Vorbereitung auf den Gipfel der europäischen und lateinamerikanischen Staatschefs, der von 13. bis 17. Mai in Lima stattfindet. Dort soll es um den Klimawandel gehen und die sozialen Probleme, die er in armen Ländern hervorruft. Von denen konnte Wieczorek-Zeul sich bei ihrem Besuch in der Neun-Millionenstadt Lima überzeugen: „Die Umweltprobleme Perus sind gravierend. Der Bergbau hinterlässt große Schäden in der Natur. Außerdem ist das Land besonders von extremen Wetterereignissen in Folge des Klimawandels betroffen. Die Anden-Gletscher schmelzen mit hoher Geschwindigkeit, Wüsten breiten sich aus.”

Umweltschutz aber genießt bislang keine Priorität, weder in Peru noch in den meisten anderen lateinamerikanischen Ländern. Es fehlen gesetzliche Regeln und Grenzwerte, der Staat kontrolliert fast nichts, und es fehlt auch der politische Wille, etwas zu ändern. Am meisten trifft das die, die in Armut leben und an denen das enorme Wirtschaftswachstum der vergangenen Jahre spurlos vorübergegangen ist. Deutschland und anderen Staaten dringen deshalb darauf, dass Länder wie Peru Umweltministerien einrichten „Dieses habe ich immer wieder deutlich gemacht, vor allem auch im Gespräch mit Ministerpräsident Jorge Del Castillo”, erklärte Wieczorek-Zeul nach ihrem Treffen mit dem peruanischen Regierungschef.

Die Länder der Europäischen Union sind die wichtigsten Geldgeber für Entwicklungsprojekte in Lateinamerika. Im vergangenen Jahrzehnt hat allein die EU 420 Millionen Euro in soziale Projekte investiert. Auf den Müllbergen von Lima sieht man, dass das bei weitem nicht ausreicht.

In den Elendsvierteln von Carabayllo gibt es weder Wasser noch Kanalisation oder Strom. Wer geregelte Arbeit hat, verdient weniger als hundert Dollar im Monat. Die meisten Bewohner sind noch keine zehn Jahre alt, wenn sie zu arbeiten beginnen. Jedes dritte Kind leidet an chronischer Unterernährung. Viele Menschen dort sehen keine andere Chance, als mit Abfallsammeln ihr Geld zu verdienen. Die Müllhalde liegt anderthalb Kilometer vom Heiligen Tal entfernt. Sie genügt nicht einmal peruanischen Vorschriften. Nachts holen die Müllsammler dort Plastiksäcke ab. Sie sortieren den Inhalt auf ihren Grundstücken, waschen Plastikhandschuhe, Schläuche und Spritzen aus, verpacken sie neu und verkaufen sie. Was nicht zur Wiederverwertung taugt, verbrennen sie an Ort und Stelle.


Außerdem wird in der Siedlung Blei aus alten Autobatterien geschmolzen und in Platten weiterverkauft. Und als wäre das noch nicht genug, klaffen zwischen den Siedlungen 50 Meter tiefe Löcher, aus denen Tonerde abgebaut wird – natürlich ohne Genehmigung.

Die Böden in Carabayllo sind mit Blei, Cadmium und Chrom verseucht. Die Kinder haben zwei- bis sechsmal so viel Blei im Blut wie die Weltgesundheitsorganisation zulässt. Auch die zwölfjährige Tochter von Julia Sayán Mendoza ist krank. „Am Anfang wussten wir gar nicht, was es ist. Kristel klagte über extreme Kopfschmerzen, blutete ständig aus der Nase, hatte Hautekzeme”, berichtet die Mutter. „Inzwischen wissen wir, dass die erhöhten Bleiwerte die Entwicklung unserer Kinder extrem schädigen.”

Das christliche Hilfswerk Misereor und lokale Organisationen unterstützen die Menschen. Der Bürgermeister hingegen schaut weg, genau wie das Gesundheits- und das Bergbauministerium. So hoffen die Menschen im Heiligen Tal, dass die Regierung ihr Versprechen wahrmacht und bald das Umweltministerium gründet, das sich ihrer annehmen soll.

Sonntag, 16. März 2008

Lima zum Letzten

Nur gut, dass ich mich schon vor zwei Wochen von Lima verabschiedet habe, denn bei einem solchen Umzug bleibt für Gefühlsduselei keine Zeit. Und da lassen wir die Sache mit dem Visum für Ecuador, dem Auflösungsvertrag für meinen Posten hier, der Flugbuchung, der Kontoauflösung, der Ausreisegenehmigung und allen sonstigen Kleinkram mal großzügig weg und nehmen wir doch als Beispiel einfach nur mein Gepäck. Ich hatte es unter Schmerzen und mit Mühe von drei auf zwei dieser blauen Tonnen reduziert, und die sollten nach Deutschland.

Die Probleme aber fingen schon an, bevor ich damit überhaupt am Frachtflughafen auftauchte.

Als ich Kontakt mit einer Dame von Lufthansa Cargo in Lima aufnahm, war die Antwort auf meine E-Mail relativ klar: Bis 99 Kilo Gesamtgewicht kostet das Kilo 4,85 Dollar, bei einem Gesamtgewicht über 99 Kilo kostet das Kilo 2,02 Dollar. Jede meiner Tonnen hat ein Volumengewicht von 34 Kilo, und da rechnete ich schnell aus, dass es mir billiger kam, drei Tonnen zu verschicken als zwei. Aber womit die dritte Tonne füllen? Ich ging also nochmal zum Einkaufen auf den Inkamarkt, holte aus den anderen Tonnen wieder was raus, füllte um.

Voraussetzung, dass ich meine „persönlichen Effekten“ durch den peruanischen Zoll bringe, sind laut Lufthansa Cargo: Kopie meines Dienstausweises vom Auswärtigen Amt, englische und spanische Inhaltsliste mit Wertangabe in dreifacher Ausfertigung und die Kopie meines Flugtickets.

Flugticket? A su madre, ich fliege doch gar nicht nach Deutschland! Ich rief wieder die Dame an. „Darf es auch ein Ticket nach Ecuador sein?“ – „Nein, sie müssen nach Deutschland fliegen!“ – „Hmmm. Genügt eine Reservierung?“ – „Ja, eine Reservierung genügt. Ist nur für den Zoll.“ Aufatmen. Ich ging ins nächste Reisebüro und ließ mir einen Flug nach Deutschland reservieren, den ich nie die Absicht hatte zu kaufen. Ich war gerüstet. „Montagmorgen um neun?“ – „Geht in Ordnung“, sagte die Dame von Lufthansa Cargo. „Frachtflughafen, Gebäude vier, zweiter Stock.“

Wie aber komme ich mit drei blauen Chemietonnen zum Frachtflughafen? Meine Auto hatte ich schon abgegeben. Mit so viel Gepäck konnte ich mich schwerlich auf die Straße stellen, um ein Taxi anzuhalten, das wäre geradezu eine Einladung für einen Überfall gewesen. Ich rief also die Zentrale eines sicheren Taxiunternehmens an.

„Ich brauche was mit viel Stauraum.“ – „Klar, wir schicken ihnen eine Camioneta.“ Am anderen Morgen aber stand nicht der versprochene Pick-up vor meiner Hostaltür, sondern ein gasbetriebener Kombi, dessen halber Kofferraum schon mit der Gasflasche voll war. Na ja, wir kriegten die Tonnen trotzdem irgendwie rein. Also, was heißt wir? Das war der faulste Taxifahrer, den ich je gesehen habe.

Am Eingang zum Gelände des Frachtflughafens schickten sie uns irgendwohin, im Irgendwo lud ich die Tonnen aus, zahlte den Taxifahrer, und da hatte ich das nächste Problem: Wenn ich jetzt da rauf in ein Büro muss, kann ich die drei Tonnen ja schlecht unterm Arm mitnehmen. Stehen lassen? Einem der herumlungernden Typen vertrauen?

Ich überlegte noch, da hatte einer mit Sackkarre die Tonnen schon an sich genommen und ein anderer redete auf mich ein. Ich war etwas übernächtig, genau im richtigen Zustand, um die Dinge geschehen zu lassen, ohne mich aufzuregen. „Das Büro ist gar nicht hier, Du musst da hinten hin“, sagte schließlich der Vielredner nach einem Telefonanruf.

Ich latschte also dem mit der Sackkarre ungefähr einen Kilometer lang hinterher bis zu einer großen Rampe an einem noch größeren Gebäude, wo ein Haufen Männer herumstanden und liefen, ohne dass ich darin einen Sinn erkannte. Der mit der Sackkarre deutete auf den zweiten Stock. „Ich warte hier auf Dich.“ Ich gab ihm, als hätte ich in dem Jahr hier nichts dazugelernt, das Trinkgeld, und als ich eine halbe Stunde später aus dem Fenster des Büros im zweiten Stock schaute, standen meine Tonnen einsam und unbewacht zwischen den Lieferwagen an der Rampe.

Ich war zu schläfrig, um mich zu beunruhigen und wandte mich wieder der Dame im Büro zu, die mir gerade mit vielen Fachausdrücken erklärte, was ich alles tun müsse. Gepäckführer, Airwaybill, Formulare, ich verstand nur Bahnhof, und so schaute ich wohl auch. „Wollen sie einen Tramitador?“, fragte sie schließlich mitleidig. Ich flehte: „Bitte!“ Sie machte einen Telefonanruf. Er käme gleich.

Ich nutzte die Gelegenheit für eine zaghafte Frage. „Sagen Sie, kann ich meine blauen Tonnen da unten eigentlich einfach so stehen lassen?“ – „Wie? Um Gottes willen!“, rief sie, lief aus dem Büro hinaus, begutachtete die Situation von oben und schickte mich sofort hektisch zur Rampe hinunter. Ich wartete also neben meinen blauen Tonnen auf meinen Tramitador.

Die meisten Behördengänge in Peru sind so kompliziert, dass ein 0815-Bürger, auch wenn er lesen und schreiben kann, jemanden braucht, der diese für ihn erledigt. Und tatsächlich, als der kleine dickliche Mann mit der Hornbrille auftauchte, war plötzlich alles ganz einfach, auch wenn er ununterbrochen in einem Haufen Zettel herumwühlte und ständig immer wieder neue Kopien von meinen Unterlagen machte und immer wieder ein neues Formular hervorholte und mich immer wieder an einen neuen Schalter in einem neuen Gebäude schickte. Ich tat, was er anwies, latschte mit, unterschrieb, buchstabierte, und am Schluss zahlte ich ihn, ohne zu murren.

Nur in die Gepäckkontrolle, da musste ich alleine hinein. Aber die drei Jungs in Uniform öffneten nur eine der Tonnen, und auch der Drogenhund fand nichts, und meine Gepäckliste enthielt nichts Verdächtiges, so dass auch das in Rekordzeit erledigt war. Fand der Tramitador. Ich hingegen fand, dass fast fünf Stunden doch ein bisschen viel für so ein bisschen Zoll für so ein bisschen Gepäck sind.

Es war wirklich nur ein bisschen. Ich hatte zwar 100 Kilogramm angegeben und dafür 202 Dollar berappt. Aber Volumengewicht kennt man in Peru gar nicht. Laut Zollwaage waren es tatsächlich nur 88 Kilo - aber das fiel bei Lufthansa Cargo Gottseidank niemandem auf.

Samstag, 15. März 2008

Regen? Regen!!

In Lima regnet es nie. Das steht in jedem Reisefuehrer. Das erzaehlt jeder Limeñer. Das habe ich auch geglaubt. Bis zum Abends des 23. Februar, als ploetzlich dicke Tropfen vom Himmel fielen. Ich war gluecklich uber die Ausnahme von der Regel.

Ausnahme? Regel? Nichts ist, wie es sein sollte. Heute regnete es schon wieder - zum fuenften Mal in diesem Jahr. . .

Dienstag, 4. März 2008

Abschied aus Lima

Wieder einmal Abschied, Unbehaustheit, Übergang. Wieder einmal eine Zeit, in der ich fast alles, was ich mache, zum letzten Mal mache.


Ich saß zum letzten Mal auf meinem Balkon und genoß mit einem Cuzqueña-Bier den Sonnenuntergang. Ein Jahr lang hatte ich jeden Abend beobachtet, wie dieser gleißende Ball in den Pazifik sank, anfangs genau zwischen den zwei Palmen am Hochufer, dann zwischen zwei Hochhäusern und später über der Brücke an der Steilküste, bis am Ende wieder die ursprüngliche Konstellation erreicht war. Der Sonnenuntergang war ein Jahr lang jeden Abend anders, jeden Abend neu und fast immer spektakulär.


Dann packte ich wieder mal meine sieben Sachen in meine drei blauen Tonnen, trennte mich von alten Zeitungen, liebgewonnenem Kleinkram und selbst gesammelten Muscheln und räumte die Wohnung leer. Die peruanische Vermieterin in der Schweiz hatte erst großmütig getan und meinen gesamten Hausstand erwerben wollen. Kurz vor Ablauf des Jahresvetrags aber kündigte sie eine 50-prozentige Mieterhöhung an und erkärte ihr Interesse an Butterdose und Gurkenraspler. Ich nahm dankend Abstand.


So stapelte ich also Teller und Töpfe, Luftentfeuchter und Wasserfilter im Kofferraum. Inzwischen habe ich fast alles verkauft, das Geschirr an den Wirt des kleinen familiären Hostals in der Parallelstraße. Dort hatte ich vor dreieinhalb Jahren meine Limeñer Nächte verbracht und dort schlafe ich jetzt in einem Vierbettzimmer. Diesmal aber bin ich in dieser seltsamen Traveller-Welt wie ein kleiner verschreckter Urzeitvogel gelandet, der nicht weiß, was er mit der Bewunderung anfangen soll, die dort jemandem entgegenschlägt, der durch Peru nicht nur durchgefahren ist. Eine völlig neue Erfahrung.


Das Kontrastprogramm dazu war die Vollversammlung in der vergangenen Woche in einem Luxushotel außerhalb der Stadt, wo ich zum letzten Mal meine deutschen Kollegen aus der peruanischen Provinz gesehen und mir mal wieder die Flöhe geholt habe. Weil ich einen Rock anhatte, fühlen sich zur Abwechslung diesmal meine Pobacken an wie Streuselkuchen. Dummerweise kann man sich an dieser Stelle so schlecht in der Oeffentlichkeit kratzen.


Am vergangenen Sonntag dann saß ich wahrscheinlich zum letzten Mal unten am Waikiki, dem Strand von Miraflores. Dort lauschte ich der Sinfonie der in den stürmischen Wellen zurückrollenden Kieselsteine, blinzelte in das diffuse Sommersonnenlicht und machte unter der dünnen Hochnebeldecke tausende Kilometer vor mir den Horizont aus. Ich versuchte mir dieses mit Musik und Faulgeruch und Erinnerungen unterlegte Gemälde für immer einzuprägen und vergaß dabei ganz die aus dieser Perspektive geisterhaft anmutende Parallelwelt der Neunmillionenstadt oben in meinem Rücken.


Und während ich vor mich hinträumte, fraß plötzlich eine heranrollende Nebelbank den Horizont, warf eine besonders schäumende Welle eine Muschel auf die Steine, die sofort von einer Möwe ausgepickt wurde, und ich stand auf und ging und ließ sie einfach zurück: die Inselspitzen vor Callao im Norden und die Bucht und die Anhöhe von Chorillos im Süden und die hölzerne Rosa Nautica im Wasser vor mir, in der es eine Speisekarte ohne Preise für die Frauen gibt; die Tablistas, die auf dem Meer tanzten, und den Kiosk, den letzten vor Tahiti, der in Flaschen abgefülltes Leitungswasser als Mineralwasser verkauft. Ich stieg die Stufen nach Miraflores hinauf mit dem selben nostalgischen Gefühl, mit dem ich dreieinhalb Jahre zuvor mit Blick auf die Hochhäuser an der Steilküste gesagt hatte: „Dort will ich mal wohnen!“

Abschied ist manchmal wie ein Film, der rückwärts läuft.


Anderntags war ich dann zum letzten Mal im DED-Büro, um Laptop und Auto zurückzugeben und die Endabrechnung zu machen und irgendwelche Sach-, End- und Abschlussberichte abzuliefern und zu klären, wann ich nun eigentlich wohin fliege. Aber aus dem kurzfristigen Deutschlandbesuch wird nun doch nichts, und meine Karibikpläne habe ich auch nochmal verschoben. Ende Januar bekam ich unverhofft ein Angebot des DED in Ecuador für einen Dreimonatseinsatz, das ich, ohne lange zu überlegen, annahm. Ich soll in Quito in Zusammenarbeit mit einer Universität eine Fortbildungsreihe konzipieren für Hochschulabsolventen und Mitglieder von Nichtregierungsorganisationen, die sich mit Umweltkonflikten beschäftigen.

Und so sind diese Tage nicht nur Abschied. Sie sind auch Vorfreude auf ein Wiedersehen. Gruendonnerstag fliege ich.