Sonntag, 20. April 2008

Ein Ort, um zu sein

„Quito, oder Kitu, war immer schon vor allem ein Platz, um zu sein, sich niederzulassen und zu leben, eine Mulde in einem Gebirgsrücken, die den Wolken nahe ist, ein immergrünes Stück Land mit fruchtbaren Weiden, mit Wäldern und Flüssen, die aus dem Pichincha hervorquellen, mit Früchten und Blumen, sanften Lagunen an beiden Muldenenden, zwei warmen Tälern in der Nähe, umgeben von sieben Wächtern des ewigen Eises, das sich mit den Wolken mischt, der Ort des ewigen Frühlings.“

Das ist eine sehr heimelige Beschreibung von Quito. Sie stammt aus dem Buch „Der Palast des Teufels“ des ecuadorianischen Schriftstellers Modesto Ponce Maldonado. Obwohl in der langgestreckten Mulde zwischen zwei Andenrücken auf 2800 Metern über dem Meer inzwischen drei Millionen Menschen leben, die Weiden zugebaut, die Wälder abgeholzt, die zwei Täler zersiedelt und die Gletscher am Schmelzen sind, so trifft diese Beschreibung doch ziemlich genau das Gefühl, das die Stadt in mir hervorruft.

Ich lebe im Nordteil in einer Einliegerwohnung, gegenüber einer Mall im US-amerikanischen Stil, in Sichtweite der deutschen Botschaft und neben dem Olympischen Stadion Atahualpa. Dieses ist benannt nach dem letzten Herrscher des Inkareiches, der 1533 in Cajamarca im Norden Perus nach mehrmonatiger Gefangenschaft von den Spaniern mit einer Würgschraube erdrosselt wurde. Von Atahualpa hat das Stadion aber ebensowenig wie von Olympia. Dafür verstärkt es einen Effekt, für den ich nun nochmal Modesto Ponce Maldonado bemühe.

„Vom zwölften Stock aus ist die Stadt wunderschön, aber es ist nicht die Stadt. Wer sie so betrachtet, tut das wie ein Gott und jene allgegenwärtigen Menschen, die in ihrer unbegrenzten Gleichgültigkeit die Welt von weitem betrachten, von ganz oben herab, und sie sehen die Stadt so, wie sie sie sehen wollen, durch die Farbe ihrer Fensterscheiben. Unten stehen die Menschen, die die Dinge sehen, wie sie sind, die sie frontal und mit offenen Augen betrachten. Im Erdgeschoss, in der Empfangshalle oder auf dem Bürgersteig beginnt die Stadt, anders zu sein.“

Das großzügige Einfamilienhaus, in dessen zweiten Stock ich wohne, gehört einem Zahnmediziner, der die Klinik im Nebenbau inzwischen seinen Kindern überschrieben hat, brav alle reklamierten Schäden repariert und mich ansonsten in Ruhe lässt. Wenn ich aber auf meine kleine Dachterasse trete oder das Metalltor unten zur Straße öffne, sehe ich direkt auf den Hintereingang des Stadions, an dem sonntags nach einer Niederlage die enttäuschten und betrunkenen Fans alle Schimpfwörter brüllen, die das Spanische hergibt - inklusive derer, die ich noch nicht kenne.

Die Wohnung bietet nicht diese fantastische Sicht auf die Mulde, in die sich Quito schmiegt, auf die Bergruecken gegenueber, an denen sich die Stadt hochzieht, auf die Vulkane. Die Moebel sind alt, der Teppichboden fleckig, der Strahl aus der Elektrodusche ein Rinnsal. Trotzdem ist sie etwas Besonderes: eigenwillig geschnitten, ruhig (außer nach Spielen) und sonnendurchflutet (wenn die Sonne scheint). Man koennte auch behaupten, diese Wohnung hat den Charme einer altmodischen Berghütte. Und in die Arbeit gehe ich zu Fuß.

Die Arbeit allerdings, die ist ein Reinfall. Ich kam an mit einem Vertrag über ganze drei Monate; einem Auftrag, der sich schon kurz nach der Ankunft als obsolet entpuppte; einem Chef, der kündigte und seinen letzten Arbeitstag hinter sich brachte am Tag, bevor ich begann; einem kommissarischen Nachfolger, der nicht da ist; einer jungen Studentin, meine einzige direkte Kollegin momentan, die ganztägig mit ihren Freundinnen chatet, im Büro ihre Universitätsarbeiten schreibt, oft mit ihrer Mama telefoniert und ansonsten nur tut, wofür sie vom kommissarischen Chef eine Anweisung bekommt. Aber der ist ja nicht da.

Die Institution, bei der ich arbeite, heisst Plasa. Es ist eine Arbeitsgemeinschaft aus 23 Organisionen, die sich in irgendeiner Form mit Umweltkonflikten beschäftigen - und seit vergangenem Oktober nicht mehr zusammengearbeitet haben. Ich spiele ein bisschen den Totengräber einer sterbenden Einrichtung und wundere mich, dass ich für so etwas tatsächlich gebraucht werde.

Wenn ich abends den Griffel fallen lasse, tue ich das, was ich in Quito schon vor vier Jahren tat: Ich pflege mein Sozialleben. Es gibt alte Freunde und neue. Sogar meine Friseuse, eine Kolumbianerin, hat mich nach vier Jahren wiedererkannt.

Bereits dreimal habe ich es in das kleine Programmkino Ochoymedio geschafft, in dem ich bei meinem letzten Aufenthalt schon oft saß. Den „Armen Teufel“ nebenan, eine stylische, aber gemütliche Jazzkneipe, gibt es auch noch. Im Ausgehviertel „La Mariscal“ hat sich wenig verändert - nur der Inder ist vier Haeuserblocks nach Sueden gezogen. Und im Stadtpark oben auf dem Hügel duften die Eukalyptusbäume nach dem Regen noch wie vor vier Jahren.

Vergangene Woche hoerte ich nebenan im Stadion das Konzert der mexikanischen Rockband Mana, waehrend der Vollmond auf das Fussballfeld schien und sich die Wolken wie ein Kranz um die Tribuene legten. Ich habe endlich mit Yoga angefangen. Und jetzt am Samstag gab´s die erste Party mit angenehm träge versandelten Nachfeierstunden am Sonntag.

Irgendwie fast wie daheim. Quito ist eben vor allem ein Platz, um zu sein.

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