Dienstag, 11. Mai 2004

Ankunft in Quito




Nach einem großen Teller Spagetti zum Abendessen und zwei Bier sitze ich jetzt satt und müde und bettschwer an meinem kleinen Tisch unter einer funzeligen Lampe, und aus meinem Laptop schallt eine CD mit lateinamerikanischen Schnulzen, während von der offenen Terrassentür kalte Luft, ein Nachbarsstreit, Kindergeschrei, Fernsehgeplapper, Verkehrslärm, Sirenengeheul und Hundegebell hereindringt – morgens kräht auch gerne ein Hahn, von woher auch immer. Vier Tage bin ich nun hier und – auch wenn sich das vielleicht wieder mal ändern mag – absolut glücklich.

In den ersten drei Tagen bin ich durch die Stadt gestromert und habe mich sofort in sie verliebt – obwohl sie abgesehen von der kolonialen Altstadt wirklich nicht allzu viel bietet, was man im herkömmlichen Sinne schön nennen kann; obwohl sie an vielen Ecken Elend offenbart; und obwohl die Luft so schlecht ist, dass ich nicht weiß, ob ich manchmal wegen der Höhe oder der Abgase zum Verschnaufen stehen bleiben muss. Und trotzdem ist es das, was ich spüre und rieche und höre und natürlich sehe: Es riecht in den Straßen nach gebratenem Grillfleisch und Maiskolben, aus jedem Geschäft dringt Musik, überall tollen Kinder herum, die Menschen zeigen ziemlich viel gute Laune und legen außerdem ein Tempo vor, das mich unter anderen Umständen sicherlich zur Weißglut treiben würde, mir im Moment aber eine gewisse Leichtigkeit vermittelt. Und vielleicht ist es ja auch ein bisschen mein eigener Zustand, der mir so gefällt.

Meine neue Heimat, zumindest für die nächsten Wochen, vielleicht für das nächste halbe Jahr, ist ein kleines Appartement am Rande des Viertels Mariscal eine Straße vom Park Ejido entfernt in direkter Nachbarschaft zum Wirtschaftsministerium; es liegt also direkt im Zentrum. Ich wohne hier alleine, obwohl es außer der kleinen Küche, dem Wohnraum und meinem Zimmer noch ein zweites Schlafzimmer gibt. Aber das ist im Moment nicht besetzt, und so kann ich mich über die ganzen 50 oder 60 Quadratmeter ausbreiten, was ich auch weidlich ausnutze. Meine paar Habseligkeiten, diverse Zeitungen der vergangenen Tage und ausgerissene Artikel, Disketten, CDs, Wörter- und Grammatikbücher, Papiere sind im ganzen Wohnraum verteilt, dazwischen thront eine Rose in einem Wasserglas, die mir am Muttertag ein Mädchen auf der Straße geschenkt hat. Der Kühlschrank ist inzwischen gefüllt mit Pilsener Bier (das zu kaufen meine erste Handlung sofort nach meiner Ankunft noch am Freitagabend war), einem Berg Obst, von dem ich nur in den seltensten Fällen weiß, wie es heißt, Käse aus den Anden und was man sonst so braucht. Ich habe nach langer Suche sogar ein Haushaltswarengeschäft gefunden, das italienische Espresso-Kannen verkauft, und einen Supermarkt, der Olivenöl im Regal stehen hat – wenn auch in 0,2-Liter-Flaschen. Ich besitze inzwischen ein neues Mobiltelefon, dessen Kauf fast daran gescheitert wäre, dass ich nur einen und nicht wie hier üblich zwei Nachnamen habe, und einen Adapter-Aufsatz für mein Computerkabel. Ich bin also eingerichtet.

Dass das auch so bleibt, dafür sorgen Gitter an jedem Fenster der Wohnung und an der Eingangstür inklusive massivem Schloss sowie ein 24-Stunden-Bewachungsdienst am Eingang und eine elektronische Chipkarte, ohne die ich gar nicht in das Haus komme. Die Wohnung selbst vermittelt den Charme eines eher schattigen Souterrains. Sie liegt im Erdgeschoss eines mehr als zehnstöckigen Hauses, und es gehört eine Art zementierte kleine Terrasse dazu, die aber von einer zwei oder drei Stockwerke hohen Mauer begrenzt ist. Benutzt habe ich die Terrasse tatsächlich noch gar nicht: Wenn die Sonne scheint und dann auch in dieses Viereck reinscheint, ist es zu heiß, und verbrannt habe ich mir ohnehin schon neben der Nase die Kopfhaut, weil ich nicht daran dachte, meine Kappe aufzusetzen für jeden Meter, den ich aus dem Haus gehe. Und wenn die Sonne nicht scheint, was täglich mindestens nachmittags der Fall ist, wenn die dicken, schwarzen, hohen Wolken wie Ungeheuer über die Quito eingrenzenden Berge rutschen, ist es zu kalt. Dann ziehe ich hier meine zwei mitgebrachten Pullover übereinander an und die Jacke dazu und hoffe, dass die Elektrodusche am anderen Morgen tatsächlich so lange lauwarmes Wasser ausspuckt, wie ich drunterstehe. Das ist nicht immer der Fall. Aber was man auch sagen kann: Ich fühle mich wohl in diesen Wänden, und sie haben den Vorteil, dass sie direkt zwischen Sprachschule und Amnesty International stehen, jeweils nur zehn Minuten Fußmarsch entfernt.

Und was kann man nach einem Tag dort sagen? Ich arbeite bei Amnesty nicht in der Presseabteilung. Ich bin die Presseabteilung, sie hat sich praktisch erst durch meine Ankunft zum ersten Mal seit Bestehen der Sektion in Ecuador materialisiert. So wie sich die Sektion insgesamt erst seit drei Monaten neu zu formieren beginnt. Das heißt: Mir wurde am ersten Tag eröffnet, dass ich im nächsten halben Jahr eine Presseoffensive aus dem Hut zaubern soll, damit die Organisation hier im Land erst einmal als existent wahrgenommen wird. Ich soll Kontakte zu den Medien aufbauen und außerdem und außerdem und außerdem. Vielleicht hätte ich doch lieber für einen amtierenden Pressechef nur den Kaffee gekocht. Aber wie auch immer: Das ist praktisch ein außerordentlich kompakter Grundkurs in Medienarbeit, für den andere jahrelang auf die Uni gehen. Das kann ich mir nach dem halben Jahr hier sicher sparen.

So habe ich also nach den ersten Stunden im Amnesty-Büro auf dem Weg zur Sprachschule heute erst einmal Bier-Nachschub besorgt, den in meiner Wohnung abgestellt, schnell ein bisschen Salat in mich hineingestopft, und bin dann weiter, um vier Stunden lang Grammatikübungen zu absolvieren und Spanisch zu quatschen, hinterher hier an diesem Tisch meine Hausaufgaben zu machen, nämlich zwei Aufsätze über ein beliebiges Thema in beliebiger Länge zu schreiben, was ich fortan jeden Tag machen soll. Und weil das alles noch nicht genug ist, muss ich jetzt auch noch irgendeine Fernsehsendung für Amnesty anschauen, keine Ahnung wofür, ich weiß noch nicht einmal, ob ich den Kanal reinbekomme – und wenn, ob ich auch etwas verstehe. Und dabei wollte ich ja eigentlich endlich mal keinen Stress haben. Aber wenn irgendwo nicht so heiß gegessen wie gekocht wird, dann hoffentlich hier.

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