Dienstag, 23. November 2004

Gute Ratschläge





So viele gute Ratschläge wie in den ersten Tagen in Managua habe ich mir noch an keinem Ort anhören müssen. Die Nicas, wie sie sich nennen, glauben, dass sie im gefährlichsten Land der Welt leben, vor allem wenn sie noch nie im Ausland waren, und dass ich zum ersten Mal in meinem Leben mein Elternhaus verlassen habe. Gleich bei meinem ersten Treffen mit dem freien Journalisten und Uni-Dozenten Fernando Centeno erhielt ich viele gute Empfehlungen, was mein Benehmen auf der Straße, den Umgang mit Taxifahrern und den Inhalt meiner Handtasche angeht...

Zum Abschluss seines Vortrags sagte er etwas mitleidig: „Offene Schuhe, eine leichte Hose und ein T-Shirt, das genügt.“ Währenddessen wickelte ich mich mit meiner Nebenhöhlenentzündung noch ein bisschen mehr in mein dickes Schultertuch und nickte nur ergeben. Seine Klimaanlage verbreitete Eiseskälte in seinem kleinen Büro und ihr Lärm bereitete mir Mühe, ihn mit meinen noch vom Flug verstopften Ohren zu verstehen. Ich merkte schon, dass ihm mein Aufzug gar nicht geheuer war und er mich eher in seinen Uni-Kurs stecken wollte als sich von mir ausquetschen zu lassen.

Als ich ihn ein paar Tage später bei einer Veranstaltung der Stiftung in einem der Luxus-Hotels in der Stadt wieder traf, hatte ich mich präpariert: Ich trug spitze Stöckelschuhe statt meiner bequemen Camper-Latschen und einen leichten Leinenanzug statt Jeans, die Sachen eben, die in Quito nie zum Einsatz gekommen waren – mangels Gelegenheit und wegen der Kälte. Das Resultat war prompt zu hören. „Heute kommst Du mir schon eher vor wie eine Journalistin“, sagte Centeno zur Begrüßung. Als wäre ich plötzlich jemand anders.

Bei unserem dritten Treffen schließlich fragte mich der etwa 50-Jährige, der auch ehrenamtlich für die Stiftung arbeitet, vollkommen ohne Zusammenhang: „In wie vielen Ländern warst Du schon?“ Die Antwort hat mir dann endgültig den Respekt eingebracht, den ich, wenn schon, dann eigentlich eher wegen anderer Dinge verdiene. Den Schluss, den ich aus diesen Episoden gezogen habe: Seither stöckle ich also in die Chefetagen und vergesse bei meiner Vorstellung neben den vielen anderen Dingen nie zu erwähnen, dass ich schon ein paar Monate in Lateinamerika unterwegs bin, was ich in Quito gemacht habe und was ich in Guatemala vorhabe. Damit lässt sich wenigstens ein bisschen der erste Eindruck revidieren.


Mehr noch aber kaempfe ich in diesem Land mit meiner politischen Positionierung. Der alte Haudegen Carlos Gadea Mantilla, der mit seinem Bruder den Radiosender Corporación betreibt, fragte mich mitten im Gespräch vollkommen unvermittelt und leicht drohend, ganz in der Manier eines bayerischen CSU-Bauern: „Bist Du Demokrat?“ Ich nickte schnell mit dem Kopf, damit er mich nicht aus seinem Müllhaufen von Büro hinausschmiss, wissend, dass er unter dem Wort ganz etwas anderes versteht als ich. Sein Radiosender ist berüchtigt für seine antisandinistischen Tiraden. Tags darauf bei La Nueva Radio Ya durfte ich mir dafür von Direktor Denis Shwartz einen propagandistisch-erzieherischen Vortrag über das Weltbild der Sandinisten anhören und hatte dabei immer wieder Mühe, ihn auf die Spur meiner Fragen zu leiten.


Am Samstag schließlich wurde mir klar, dass es ziemlich schwierig ist, in einem politisch so polarisierten Land eine zumindest nach außen hin neutrale Position zu bewahren. Ich nahm für die Arbeit an der Studie an einem Treffen der konservativ-liberalen Allianz APRE teil, die dort eine Woche nach den Kommunalwahlen ihre Wunden leckte. Angesichts der Dummheiten, die da zu hören waren, hatte ich Mühe, meinen Mund zu halten. .


Aber das Land ist nicht nur politisch gespalten, sondern auch sozial, viel mehr als etwa Ecuador, was zeigt, dass es wahrscheinlich wirklich das zweitärmste Land Lateinamerikas ist. In Managua stehst Du unvermittelt in einem absolut gefährlichen Viertel aus Wellblechhütten, wo sich ich im Staub der ungepflasterten Straße ein Betrunkener wälzt und sich zwielichte Gestalten herumtreiben. Oder umgekehrt in einem Viertel der gehobenen Mittelschicht mit Wachmann, Eisengittern und zwei Autos vor jeder Tür. So wie in Bello Horizonte, wo ich wohne.


Während die Wellblechhütten-Nicaraguaner ein Entwicklungsland-Leben führen, ist das der anderen absolut nordamerikanisiert. Geld abgeheben? Am Drive-In-Schalter der Bank. Bier kaufen in der Pulperia an der Ecke? Nicht ohne Auto. Essengehen? In einer der Fastfood-Ketten. Shoppen? In der hypersterilen Mall. Neue Schuhe? Aber die Marke aus den USA. Die zwei Welten treffen sich höchstens an der roten Ampel, wo die einen versuchen, die Windschutzscheiben der anderen zu putzen.

Das jedenfalls ist Managua. Auf dem Land wiederum scheint alles viel ruhiger, ungefährlicher, gleichgewichtiger. In Granada kann man ungestört durch die Straßen schlendern, die Kolonialhäuser bewundern und an einem Kiosk auf dem Hauptplatz im Schatten der Bäume einen herrlichen eisgekühlten Naturkakao trinken. In San Juan del Sur lässt sich wunderbar ein Tag am Strand vertrödeln mit Schwimmen, Ceviche, Tischfußball und Bier. Und in Tipitapa nahe Managua schließlich lockt ein Thermalbad inklusive Natur-Sauna mit Schwefelwasser aus dem nächsten Vulkan.


Eine leicht übergewichtige Dame, die dort seit Jahren jeden Samstagvormittag verbringt, erklärt dann im Holzverbau über dem Becken mit dem heißen Wasser gerne, wie man sich wie sie bis ins hohe Alter fit hält, gibt Tipps für die Ernährung und macht dann im Schwefeldampf auf den morschen Holzplanken gleich die empfohlenen Leibesübungen vor. Das mit den Übungen und den Ernährungstipps scheint durchaus angebracht. Die Nicas sind ziemlich übergewichtig, um nicht ehrlicherweise zu sagen fett. Aber in der Sauna sieht man das nicht so genau. Abgesehen davon, dass man sich dort natürlich nicht nackt aufhält, ist es ziemlich duster.

Es mag schwer vorstellbar sein, aber Sauna ist auch in einem tropischen Land ein Vergnügen. Deshalb werde ich meine Gastgeber Douglas und Dayra morgen wieder dorthin begleiten – und mir wünschen, dass das kalte Wasser aus der Dusche wenigsten ordentlich kalt wäre. Neid? Tröstet Euch: Immer schwitzen ist auch nicht schön.


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