Montag, 21. Februar 2005

Nur mit Schutzengel

Also wenn ich das letzte Mal geschrieben habe, in meine Wohnung drängen manchmal Musikfetzen, dann ist das nur die halbe Wahrheit. Und weil Wasti nach seinem Kurzbesuch hier ohnehin einiges erzählen wird, macht es auch keinen Sinn, die andere Hälfte zu verschweigen. Gerade eben wieder, als ich die Zeitungen von heute durchblätterte, fielen draußen in der Nacht Schüsse. Guatemala ist mit Sicherheit das gefährlichste Land, in das ich je gereist bin, und die gemeine und die politische Kriminalität, zwischen denen nicht einmal eine Grenze auszumachen ist, verursachen mir jeden Tag mehr Gänsehaut.

Dazu tragen nicht nur die Bücher über die reichlich blutige Vergangenheit des Landes bei, die sich auf meinem Nachttisch stapeln, sondern auch meine Besuche bei Menschenrechtsorganisationen und anderen Institutionen. Dort erzählen mir die Menschen von Drohanrufen und ständiger Überwachung, sprechen von den immer noch existenten geheimen Killer- und Überfallkommandos, die wie in Bürgerkriegszeiten auf Befehl von oben agieren, und pflegen dann abzuschließen mit Sätzen wie: „Pass auf, vertrau keinem, es könnte ein Militär sein.“ Davor schützt mich ja hoffentlich, dass ich absolut unbedeutend bin. Allerdings frage ich mich jeden Tag mehr, wieso hier niemand wieder anfängt, sich zu bewaffnen. Was man so wiederum gar nicht formulieren kann, denn bewaffnet ist die Mehrheit bereits. Die AK47 ist absolute Durchschnittsausruestung.

Jeden Tag lese ich die Seite in den Zeitungen mit den übelsten Vergewaltigungen, Folterungen, Überfällen, Entführungen und Morden, derer so vieler sind, dass sie in der Regel in einem Sammelartikel jeweils nur mit einem Satz abgehandelt werden. Für eine Erklärung der Motive im Einzelfall ist da kein Platz mehr. Nur wenn eine Frau umgebracht wurde, vergessen die Redakteure nie die Gesamtzahl der weiblichen Opfer zu erwähnen: In den ersten Wochen des Jahres waren es bereits 55, was darauf schließen lässt, dass der traurige Rekord vom vergangenen Jahr heuer noch übertroffen wird. In einem besonders grauslichen Fall tauchte der abgeschnittene Frauenkopf in einem öffentlichen Bus auf. Hier um die Ecke.

Kommentare über die Unsicherheit im Land, in dem elf Millionen Menschen leben, füllen auch täglich die Meinungsspalten. Ich lese das alles nicht gerade zum Vergnügen, sondern um zu sehen, wo und zu welcher Uhrzeit die Verbrechen stattgefunden haben, um ein Gefühl zu kriegen für die Gegenden, wo ich genau aufpasse, wer vorne in den Bus einsteigt, oder wo ich besser erst gar keinen Fuß reinsetze.

Aber auch das hilft nicht immer. Als Wasti und ich vergangene Woche hier in der Hauptstadt kurz nach Dunkelwerden in ein Taxi einstiegen, nahm der Fahrer unnötigerweise eine unübliche Route. Sie führte durch üble Viertel. Am Straßenrand ließen sich zwischen nächtlichen Feuern Gruppen von Jugendlichen mit Pumpguns und allerhand andere unangenehme Gestalten ausmachen. Wir insistierten mehrmals, dass das der falsche Weg sei und landeten schlussendlich dann doch heil an meiner Haustür. Ob der Taxifahrer in böser Absicht oder aus Naivität handelte, wir werden es nie herausfinden.

Meine Haustüre ist gottseidank immer verschlossen, zur Kontrolle sitzt ein Portier am Eingang. Den Luxus genießen natürlich die wenigsten Guatemalteken, und deshalb leiden sie gerade unter einer neuen Welle von Gewalt durch jugendliche Banden-Mitglieder, so genannte mareros, die viele Viertel beherrschen und täglich Schutzzoll von Anwohnern und Busfahrern kassieren. Neuerdings klingeln sie an der Tür, schauen sich die Wohnung oder das Haus an und entscheiden dann, ob sie bleiben – für immer. Aus Angst traut sich kaum jemand zu protestieren oder gar Anzeige zu erstatten. Manchmal dürfen die Besitzer ein bisschen persönliche Habe (natürlich keine Wertgegenstände) zusammensuchen, bevor sie aus ihren vier Wänden rausgeschmissen werden, manchmal dürfen sie die Behausung sogar mit den ungebetenen Gästen teilen

Auch meine Gegend ist nicht gerade die sicherste. Aber dafür herrscht hier bis abends um acht Trubel, was wiederum auch Schutz ist. Zu dieser Uhrzeit ist nämlich der Rest der Stadt schon ausgestorben, bereiten sich die Obdachlosen in ruhigeren Ecken und Hauseingängen schon ihre Pappbetten. Mit Wasti traute ich mich nachts sogar bis zur Bodeguita del Centro, einer Musikkneipe vier Häuserblocks weiter, wo die Straße schlecht beleuchtet ist und abgesehen von den Prostituierten nachts immer leer zu sein scheint. Allein gehe ich allerdings nach acht zu Fuß nicht weiter als bis zum nächsten Häuserblock, wo in Bar Europa Chef Cesar immer rührend um mich bemüht ist. So habe ich also meinen Tagesablauf völlig umgestellt. In der Regel gehe ich tagsüber raus, nachts arbeite ich zu Hause am Computer.

Die vergangenen zwei Wochen waren da eine Ausnahme. Wasti und ich haben uns aber nicht nur in Hauptstadt umgeschaut, wir sind auch nach Antigua, an den Atitlan-See und zu den Maya-Ruinen nach Tikal gefahren. An diesen touristischen Punkten scheint die Welt halbwegs in Ordnung – aber die Gefahr lauert auch dort oder zumindest auf dem Weg dazwischen. Busüberfälle sind tägliche Routine, die können sogar hier in der Innenstadt zweieinhalb Stunden dauern, bis endlich die Polizei kommt. Die ist oft genug selbst in die Verbrechen involviert und deshalb nicht gerade vertrauenswürdig. Und dass es in den viel besuchten Touristenorten wie Antigua keine richtigen Maras gibt, zeigt am offensichtlichsten, dass diese Jugendbanden „von oben“ gesteuert werden. Die 14- bis 30-Jährigen werden von den Bossen, die das Land regieren, als Drogen- und Waffenkuriere beschäftigt. Von den Verbindungen zwischen Maras, Killer- und Überfallkommandos, Präsidentenpalast und anderen politischen und wirtschaftlichen Institutionen weiß jeder. Es ist sogar in der Zeitung nachzulesen. Es hilft nur nicht.

Man gewöhnt sich an vieles, habe ich festgestellt. Deshalb haengt neuerdings ein grosses Poster in meiner Wohnung: die uebelsten mareros als lustige Comicfiguren. Ansonsten vertraue ich auf meine Vorsichtsmaßnahmen und meinen Schutzengel.

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