Donnerstag, 1. November 2007

Zwischen Mexiko und Feuerland

Am Abend meiner Rückkehr nach Lima saß ich wieder mit klammer Jeans auf meinem Sofa, sah auf die Lichter vor der schwarzen Nachtfront, hinter der ich das Meer vermutete, trank einen vier Wochen offen gestandenen Rotwein auf, fror und blätterte eine alte Sonntagsausgabe des Comercio von Ende September durch.

In der Beilage „Mein Heim“ ging es auf der Seite „Die Frau“ darum, ob frau beim ersten Treffen nun gleich mit ihm ins Bett gehen soll oder nicht. „Während die Frau eine feste Bindung sucht, setzt der Mann hingegen alles dafür ein, dass die Frau seinem sexuellen Werben nachgibt, auch wenn er in vielen Fällen schon vorher weiß, dass er nichts Ernstes will“, schreibt die Psychologin.

Ich habe das jetzt in Peru nicht selbst getestet (damit wäre nun endgültig auch die Frage nach dem „Privaten“ beantwortet, die mir ja gern – und dann natürlich ganz diskret... - gestellt wird). Mich interessierte der Artikel auch gar nicht. Hängen geblieben war ich nur wegen der Kopfzeile der Zeitungsseite. Dort stand ein Zitat des uruguayischen Dichters Mario Benedetti. „Man kann nicht immer machen, was man will, aber man hat immer das Recht, nicht zu machen, was man nicht will.“ Und irgendwie fand ich den Spruch gerade passend für mich, wenn auch in einem anderen Zusammenhang.

Ich kann in der Defensoría del Pueblo nicht machen, was ich will. Das habe ich zwischen Februar und September herausgefunden. Aber ich habe das Recht, nicht zu machen, was ich nicht will. Zu der Auffassung bin ich dann im Oktober gelangt. Und deshalb habe ich heute, an Allerheiligen, gekündigt.

Als ich vor ziemlich genau drei Jahren schon mal in die Stadt kam, schrieb ich, dass der Aufenthalt dort begonnen hat wie ein Besuch bei Freunden, obwohl ich niemanden kannte. Dass Lima immer ein Traum meiner Jugend war, eher Begriff für ein Gefühl denn Name für einen tatsächlich existierenden Ort. Dass ich diesen Seelenzustand in der real existierenden Stadt aber tatsächlich gefunden habe: am Strand, wo die dicken Kieselsteine mit den zurückrollenden Wellen Symphonien erzeugen, sich die Farben in der beginnenden Dämmerung in ein monochromes Gemälde in Blau- und Grüntönen verwandeln, sich der Pazifik an einem unbekannten Punkt mit dem Horizont vereint und sich die Hochhäuser der Küstenlinie hinter gespenstischen Nebelschwaden verstecken. Damals hatte mir der Besuch in Lima plötzlich den Weg gewiesen. Ich hatte bei der Abreise einen Auftrag für eine Studie in Nicaragua in der Tasche.

Diesmal war alles ganz anders. Damit meine ich zwar weniger die Stadt als vielmehr die Arbeitsumstände und den Seelenzustand. Aber wie lässt sich das irgendwann alles noch so genau trennen? Der Aufenhalt hat jedenfalls nicht nach meinem Geschmack begonnen - und wurde dann auch nicht mehr besser. Die Freunde sind rar gesät. Für die Kiesel am Strand habe ich weder Zeit noch Muße. Die winterlichen Nebelschwaden zwingen mich dazu, einmal die Woche im Kleiderschrank die schimmeligen Klamotten auszusortieren. Und wenn ich an Pazifik denke, denke ich einen Tsunami immer gleich mit. Diesmal musste ich vielmehr nach Deutschland fahren, um herauszufinden, wie es weitergeht.

Die kurzfristige Einladung zu einer Fortbildung in Bonn bescherte mir einen Heimflug. Bei der Ankunft in Frankfurt fühlte ich mich ein bisschen so, als hätte ich gerade noch überlebt. Jeder Tag Abstand half dann, endlich eine Entscheidung zu treffen. Die ich heute in Lima der deutschen Seite auch kundtat. Die Reaktion: Sie haben Verständnis. Wie das im Detail mit dem Auflösungsvertrag aussieht, ist noch zu regeln. Ich breche nicht sofort alle Zelte hier ab – und verhungern muss ich auch nicht.

Mitgebracht habe ich außer dieser Entscheidung aber noch viel mehr aus Deutschland. Zum Beispiel ein Konzentrat an Freundschaftsmomenten, die mir noch jetzt das Herz erwärmen: die wunderschönen Jubiläumsabende im alten kino in Ebersberg, die heimeligen Küchengespräche in der Münchner Männer-WG, ein im Mariandl herrlich verbummelter Tag, die Weinabende in Königswinter und die stimmungsvollen Tage auf der Hochzeit von Mick und Monica in der Sierra de Guadalajara in Spanien. Und nicht zu vergessen: Die kritischen Blicke meiner kleinen Nichte Juli.

Mitgebracht habe ich auch eine DVD. Als ich also heute wieder wie vor zwei Tagen auf meinem Sofa saß, diesmal aber mit der Sicherheit, dass jetzt alles seinen Gang geht und vor mir etwas liegt, auf das ich richtig Lust habe, legte ich diese DVD in den Rekorder ein. Der bayerische Film „Hobeditzn“ brachte mir nicht nur Alex, Ebersberger Nummernschilder und eine Menge Valtorta-Zitate auf den Bildschirm, sondern erzeugte vor der Kulisse des nächtlichen Lima plötzlich auch jenes Gefühl, das ich in den vergangenen Monaten so vermisst hatte. Mein Lachen hat man mit Sicherheit noch auf der Straße gehört. Ich musste ganz offensichtlich erst nach Lima, und das auch noch zweimal, um zu merken, dass ich nach München will.

Aber jetzt gleich und sofort? Na ja, das muss jetzt auch wieder nicht sein. Vor mir liegen 17 Monate in Lateinamerika. Pläne dafür habe ich schon. Nichts, was im Moment wirklich spruchreif wäre – außer dass ich mir einen schönen, sonnigen Platz irgendwo zwischen Mexiko und Feuerland suchen werde...

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Hallo Tante Uschi!!!
Mir sind gerade ein bißchen die Tränen gekommen.... aus Freude oder weshalb genau kann ich nicht sagen. Ich freue mich jedenfalls sehr für dich. Das mit dem Buch schreiben würde ich sogar ernsthaft ins Auge fassen... das hab ich mir jedes Mal gedacht, wenn ich deine Einträge in dieser Hompage gelesen habe. Ich werde auf jeden Fall einen Band kaufen.
Nun, wir hoffen, daß die Auflösung des Vertrages dir nicht allzu viele Probleme bereiten wird und du die nächsten Monate ohne zu "verhungern" gut weiterleben wirst. >Augenzwinker<

Also dann wünschen wir dir viel Glück und ein dickes Bussi von deiner Juli!!!

viele liebe Grüße auch von Rainers Eltern

Gisela

Sebastian Schoepp hat gesagt…

Liebe Ursel,

jetzt, Dein Blog auf ganz Lateinamerika ausgeweitet ist, sieht man erst, dass ein Buch überhaupt kein Problem darstellt. Im Gegenteil: Du musst aufpassen, dass es nicht drei oder vier Bücher werden. Ich glaube: die Arbeit an dem Werk wird eher aus Streichen denn aus Schreiben bestehen, bei der Masse von erstklassigem Material!
Wast