Samstag, 18. April 2009

Traurige Tropen

In Trinidad ist es heiß und feucht, und es stinkt. Die Hauptstadt des Departaments Beni mit 86.000 Einwohnern hat kein Abwassersystem, stattdessen überall offene Kanäle am Straßenrand, die zur Regenzeit überlaufen. Taxis gibt es nur in Form von Motorrädern. Die Straßen haben entweder keinen Asphalt oder tiefe Schlaglöcher. Im Zentrum der Stadt sind sie von Arkaden gesäumt.

Hier im Tiefland von Bolivien, das zum Amazonasbecken gehört und schon Richtung Brasilien liegt, ist es tropisch in jeder Hinsicht. „Wenn sie jemanden nicht mögen, erschießen sie ihn. Wenn sie ihn nicht erschießen, dann weil sie nicht mögen“, sagt die Repräsentantin der Defensoría del Pueblo in Trinidad. Sie hießt Selva und ist eine ältere Dame im schwarzen Etuitkleid, die aus einer alteingesessenen Großgrundbesitzerfamilie stammt und sich Zeit ihres Lebens für die Rechte von Indigenen eingesetzt hat.

Dass mich meine Chefs Gonzalo und Hector mitgenommen haben zu einem 24-stündigen Ausflug in die Provinzhauptstadt, ist als Vertrauensbeweis zu betrachten. Vor anderthalb Jahren haben sie mit anderen Kollegen eine Untersuchung auf den Landgütern in der Region durchgeführt. Es gibt viele haarsträubende Abenteuergeschichten von dieser Reise. Herausgekommen aber ist eine Studie über die Menschenrechtssituation der Arbeiter, die den Großgrundbesitzern überhaupt nicht gefällt. Nun geht es darum zu überprüfen, ob die staatlichen Institutionen die Empfehlungen an sie umsetzen.

Beni ist die Viehzuchtregion Boliviens. Die Haciendas sind wegen des Regens ein halbes Jahr lang nur mit der Cessna zu erreichen. Das andere halbe Jahr über ist jeder Weg immer noch eine lange Reise. Jede Kuh hat drei Hektar, „mehr als ein Indigener“, wie Präsident Evo Morales bei Amtsantritt richtig anmerkte. Es erübrigt sich zu erklären, dass die Großgrundbesitzer des Beni nicht zu seinen Anhängern gehören.

Was die Mitarbeiter der Defensoría bei ihrer dreiwöchigen Erkundigung in den hintersten Ecken des Beni vorfanden, ist zwar nicht zu vergleichen mit den Sklavenverhältnissen im Chaco. Aber es geht doch um sklavenähnliche Verhältnisse. Die Arbeiter verdienen zuviel zum Sterben und zu wenig zum Leben. Sie sind nicht kranken- oder rentenversichert, und einen Teil ihres Hungerlohns erhalten sie in Naturalien, weil es keine Geschäfte gibt auf den Gütern, genausowenig wie Schulen oder Krankenhäuser. Ihre Frauen und Kinder müssen unentgeltlich mitarbeiten. Und die Lohnvorauszahlungen verschulden die Arbeiter dermaßen, dass sie nicht die Wahl des Arbeitsplatzes haben – sie müssen ja erstmal ihre Schulden abarbeiten.

Das wäre erstmal das dürre Faktengerüst, das Selva mit kabarettreifen Erzählungen zu ergänzen vermag. Darüber, wer bei welcher der jüngsten Abstimmungen und Wahlen wo mit Waffen auftauchte und dafür sorgte, dass das Ergebnis genehm ausfällt. Dass in Trinidad die graue Eminenz im Stadtrat die zwei Kolleginnen im Gremium regelmäßig drei verschiedene Versionen des Protokolls unterzeichnen lässt. Zwei davon nimmt er an sich – und holt sie raus, wenn die Gefahr besteht, dass die Damen nicht nach seinen Anweisungen tanzen. Dass eben dieser Stadtrat, als er seine Macht schwinden sah, anonyme Briefe verteilte, in denen er die intimen Fehltritte einer ganzen Reihe von Ehefrauen und Männern denunzierte.

Klingt wie bayerisches Bauerntheater und ist doch bolivianische Realität.

Die zweite Hälfte des Tages verbrachten wir im Gefängnis von Trinidad, wo die Häftlinge gerade in Hungerstreik getreten waren: weil es kein Trinkwasser gibt und keine Medikamente, weil das Stadtkrankenhaus die Gefangenen nicht behandelt, so lange die Gefängnisverwaltung nicht die dort angehäuften Schulden begleicht. Weil es eng ist – und überhaupt.

In einem engen Kabuff mit hölzernen Schulbänken und einem lärmenden Ventilator vermittelte Gonzalo erfolgreich. Anschließend führte uns der Hälftingssprecher durch die Anlage, in der knapp 300 Männer sitzen - zusammen mit ihren mehr als hundert Kindern und etwa 200 Ehefrauen, die untertags draußen arbeiten und abends zu ihren eingesperrten Männern zurückkehren.


Das Gefängnis von außen


und innen


Der Haupthof mit den Familienschlafkabinen, die per Leiter zu erreichen sind

Die Lederwerkstatt

Die Küche


Der Bunker

Die Apotheke

Selva mit einem Häftling


Der Lederwarenverkauf am Gefängniseingang



Hector



Gonzalo




Und nochmal Selva

2 Kommentare:

Sebastian Schoepp hat gesagt…

Na mal bloß gut, dass sie Dich aus dem Knast wieder rausgelassen haben. Und aus der Tropenhölle. So traurig wirkt die aber gar nicht. Jedenfalls nicht so traurig wie bei Claude Levy-Strauss.

Anonym hat gesagt…

Hallo Uschi!!!

Auch wir sind froh, daß sie dich wieder rausgelassen haben. Es ist wirklich trostlos.... Bei dem Bild mit den beiden Kindern in der Küche sind mir fast die Tränen gekommen....

Dem kleinen Bauchzwerg geht es laut Ultraschall sehr gut. Keine Fehlbildungen zu erkennen. Wir wissen auch schon was es zu 99% wird.....

Viele liebe Grüße

auch von der momentan sehr trotzigen, autonom werdenden Juli und Rainer, der sich anscheinend an meiner Müdigkeit angesteckt hat....