Dienstag, 5. Oktober 2004

Das liebe Geld

Als ich heute Vormittag in das Büro der Hausverwalterin eingetreten bin und die verhutztelte kleine Frau mich wieder mit „Ah, la gringita“ begrüßte, dachte ich mir, ich muss endlich mal von ein paar praktischen Dingen erzählen. Praktische Dinge sind Rechnungen, Verträge und sonstiger Schreibkram, Adressen sowie alles, was „morgen“ fertig sein wird. „Morgen“ heißt bald. Und ich tue das auch deshalb, weil ich demnächst dieses Land verlassen und ganz offenbar in eine weitaus weniger zivlisierte Gegend Lateinamerikas fahren werde, wenn ich meinem Zentralamerika-Führer, den ich gestern zum ersten Mal gewälzt habe, glauben darf.

Bereits seit einigen Monaten bin ich stolzer Besitzer eines „Censo“. Das ist der eduadorianische Ausweis eines Ausländers mit richtiger residencia im Land, dessen Bedeutung man jedem Polizisten von neuem erklären muss. Den „Censo“ habe ich gekriegt, weil ich dem ecuadorianischen Honorarkonsul in München vier Passbilder, eine Bescheinigung meiner Bank über meine Liquidität, ein Leumundszeugnis der Generalstaatsanwaltschaft in Bonn, ein Gesundheitszeugnis meines Hausarztes, eine Kopie meines Flugtickets, vier Passbilder und 230 Euro für ein Visum hinterlassen habe und anschließend hier auf der einen Ausländerbehörde in der 10 de Agosto dieses Visum bestätigen ließ, nicht ohne vorher Kopien meines Passes, einen gelben Umschlag, zwei Schreiben des Münchner Honorarkonsuls und einige Dollar abgegeben zu haben, um dann auf der anderen Ausländerbehörde in der Avenida Republica noch einmal fünf Passbilder, Kopien meines Passes, meines Mietvertrags und des Ausweises meiner Vermieterin, eine Bestätigung von Amnistia, einen gelben Umschlag sowie einige weitere Dollar zu übergeben.

Der Vorteil des „Censo“: Das alles andere als fälschungssichere Stück Pappe mit meinem aufgeklebten Foto und der Nummer 157570 ist nur ein Viertel so groß wie mein Pass, den ich nun immer getrost zu Hause lassen kann. Der Nachteil: Wenn ich das Land verlassen will, muss ich dafür spätestens am selben Tag, aber keinesfalls mehr als 72 Stunden vorher (die schicken einen wirklich wieder heim), eine Erlaubnis einholen, die mich wieder ein paar Dollar kostet – von der Ansteherei in der Behörde will ich gar nicht sprechen. So erhöht man die Staatseinnahmen.

Theoretisch dürfte ich mit dem „Censo“, der anders als mein Sechs-Monats-Visum ein ganzes Jahr gültig ist, nicht nur allen Arten von Geschäften nachgehen, sondern auch ein Bankkonto eröffnen. Aber wofür? Angesichts meines kurzen Aufenthaltes rentiert sich die Schererei für etwas nicht, was viele Ecuadorianer ohnehin ihr ganzes Leben lang nicht brauchen. Der Lohn wird meist bar auf die Hand bezahlt, in halbwegs besseren Jobs zweiwöchentlich oder gar monatlich. Wenn die Lage mal gerade ein bisschen schlechter ist, auch mit Verspätung oder gar nicht. Deshalb werden auch alle Rechnungen bar bezahlt – oder auch gar nicht.

Und so kommt es, dass ich einmal im Monat, nämlich am 20., 200 Dollar aus meiner Dokumententasche hole (wenn ich das Geld denn gerade zur Hand habe), und damit zur Señora Hausverwalterin latsche, die ein bisschen wirkt wie ein lächelnder Zwerg, der einem beim Hinausgehen das Messer in den Rücken stößt. Die Dame residiert im ersten Stock in der hinteren Ecke eines riesigen leeren Büros an einem winzigen Schreibtisch – wenn sie nicht gerade vorne an der Kreuzung auf dem für sie viel zu hohen Holzthron des Schuhputzers sitzt.

Wenn ich mich verspätet habe mit meiner Zahlung (aber nicht allzusehr, sonst besucht mich die Señora wieder in der Wohnung) oder gerade Glück habe, liegt da auf ihrem Schreibtisch schon die Quittung meiner Vermieterin. Wenn nicht, heißt es „mañana“. Auf die letzte Quittung warte ich also schon seit dem 20. September.


Das gleiche Spielchen wiederholt sich außerdem an jedem 1. des Monats, wenn mir die Señora die Nebenkostenrechnung unter der Tür durchgeschoben hat. 33,21 Dollar habe ich heute morgen wieder in ihrem Büro abgegeben: für Putzfrau und Licht in Gang und Treppenhaus, den Abfall, die Feuerwehrleute, das Wasser, den Aufzug und die Sicherheitsleute am Eingang, die zu wecken mich nachts beim Heimkommen – Schlüssel für die Tür haben die Mieter nicht - regelmäßig mehr als fünf Minuten kostet. Seit ich einmal Zeuge einer halbstündigen Rechnung über die Höhe des Wechselgeldes von exakt 6,79 Dollar geworden bin, achte ich darauf, das Geld auf den Centavo genau zur Hand zu haben. Seither ist die Señora auch immer doppelt so süß zu mir. Und weil ich also letztlich immer bezahlt habe, wenn auch mit Latino-Pünktlichkeit, steht mein Name nicht auf der schwarzen Liste der Schuldner, die in einer Glasvitrine am Eingang zwischen den beiden Aufzügen hängt – von denen abgesehen davon natürlich immer nur einer funktioniert.

Nun sind aber Miete und Nebenkosten – wie zu Hause in Deutschland auch – nicht die einzigen Rechnungen. Auch die Stromrechnung liegt einmal im Monat auf dem Boden hinter der Eingangstür, denn Postboten gibt es ebensowenig wie Briefkästen. Wenn ich diesen kryptischen Zettel also wieder mal finde, habe ich genau zehn Tage Zeit zu bezahlen. Wenn ich das nun bis zum letzten Tag vergesse, nimmt keine Bank mehr mein Geld. Ich muss dann mit dem Trole bis zur Station Mariana de Jesus fahren, um bei der Firma direkt meine Schulden zu begleichen. Was alle anderen an diesem Tag natürlich auch tun.

Aber immerhin – für den Strom erhält man eine Rechnung. Das spart sich die Telefongesellschaft Andinatel gleich ganz. Die haben einfach für jedes Stadtviertel einen anderen Zahlungstag verordnet, der manchmal auch ohne Ankündigung wechselt, und wenn man das nicht weiß oder immer noch auf seine Rechnung wartet, dann drehen sie einem den Saft ab – so wie mir. Also bin ich mit dem Bus zu Andinatel in die Eloy Alfaro gefahren, habe auch dort eine Nummer gezogen und brav gewartet, bis ich dran war, und die Rechnung beglichen auf einen Namen, der weder meiner noch der meiner Vermieterin noch der meiner Vormieterin ist, und still gehofft, dass ich die richtige Telefonnummer angegeben und nicht die Schulden eines Wildfremden bezahlt habe.

Aber immerhin, so viel hatte ich gesehen im Computer (im Gegensatz zu Behörden arbeitet diese Firma bereits mit Computer), die Adresse war richtig gewesen. Diese wird normalerweise mit den beiden Straßennamen der nächsten Kreuzung angegeben. Außerdem gibt es üblicherweise zwei Nummern: die alte und die neue, wobei ich nie weiß, welche welche ist und mich deshalb bei der Suche oft kilometerweise vom Zielort entferne. Mein Haus aber hat beispielsweise überhaupt keine Nummer, dafür einen Namen, und so lautet meine Adresse: Veintimilla y Reina Victoria, Grecia II. Weshalb es am sichersten ist zu sagen: neben der Feuerwehr in dem Gebäude mit dem Friseurgeschäft im Erdgeschoss. Was alle anderen natürlich auch machen, was man aber schlecht auf einen Absender oder eine Visitenkarte schreiben kann und weshalb ich immerzu am Suchen bin und (siehe auch oben) dafür mindestens 20 Minuten extra einkalkulieren muss. Manchmal reicht nicht einmal das, denn mitunter gibt es die gleiche Straße im Abstand von einem Kilometer doppelt. Schön, wenn man dann in der falschen Calle Andalusia auch noch einen Taxifahrer erwischt, der sagt: „Aber in der Andalusia stehen Sie doch.“

Immerhin aber gibt es in Quito Straßennamen und manchmal auch -schilder, was in Nicaraguas Hauptstadt Managua nicht der Fall zu sein scheint. Das Hostal, das ich mir schon mal in meinem Führer ausgesucht habe, liegt – offizielle Adresse - „einen Block nördlich und einen Block östlich vom Ticabus-Terminal“. Da ich meinen Kompass nicht dabei habe und auch nicht vorhabe, mir einen anzuschaffen, bin ich jetzt schon gespannt, wie lange ich brauche, um das zu finden. Aber einen Vorteil hat ein Hostal: Dort gibt es nur eine Rechnung.

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