Freitag, 22. Oktober 2004

No más violencia contra las mujeres!




Seit ich im Büro von Amnistía arbeite, versuchen die Voluntarios die neue Kampagne „Stoppt Gewalt gegen Frauen“ mit Inhalt zu füllen. Das geht sehr langsam voran, Trost ist uns nur, dass die Kampagne bis zum Jahr 2010 dauern soll und also ein bisschen Zeit ist. Nun mag der eine oder andere in Deutschland über so eine Kampagne lachen. Ich lade ihn gerne nach Ecuador ein, da würde ihm das Lachen schier vergehen. Schon seit Monaten schleiche ich um dieses Thema herum und fand dann aber, ich sei vielleicht ein bisschen ungerecht und sollte noch etwas warten mit meiner Beschreibung. Nun ist es allerdings so, dass mein Urteil inzwischen höchstens noch härter ausfällt. In Lateinamerika regiert der Machismo, und wer etwa ein romantisch verklärtes Bild davon im Kopf hat, dem seien hier ein paar Beispiele an die Hand gegeben.

Fangen wir mal mit der Romanfigur des Journalisten und Psychoanalytikers José an, die hat nämlich ein lebendes Vorbild. Die Frau ist heute fast 60 Jahre alt, und davon hat sie 40 in einer Irrenanstalt verbracht. Als illegitime Tochter eines Politikers störte sie im Vorwahlkampf dessen Bemühungen um einen Posten und wurde abgeschoben. Vorwand war ein tätlicher Angriff auf einen Mann, tatsächlicher Hintergrund dieses Angriffs war sexueller Missbrauch. José zufolge ist die Frau einwandfrei gesund, wenn auch inzwischen medikamentenabhängig. Dass sie nach einer Entlassung wieder eingeliefert wurde, liegt daran, dass Familienmitglieder die Ärzte bestochen haben und das immer noch monatlich tun. Ich will aber gar nicht in die Details einsteigen, sondern bevor ich andere, weniger romanhafte Schicksale schildere, ein paar Zahlen bringen. Laut ecuadorianischer Regierung (!!) gibt es in 82 Prozent der Familien in diesem Land ein Gewaltproblem. Acht von zehn Frauen wurden zumindest einmal schon mit körperlicher oder sexueller Gewalt konfrontiert.

So kommt jedes Gespräch mit einer Frau früher oder später an einen Punkt, an dem sich mir die Haare aufstellen. Eine kleine Auswahl:

Unsere Sekretärin Anita, die jeden Abend um sechs verschwindet, um noch vier Stunden an der Abenduniversität zu studieren und dann spät nachts Hausaufgaben zu machen, arbeitet seit anderthalb Jahren bei Aministía. Vorher suchte sie mehr als ein Jahr lang in Quito nach einem Job. Der Grund, warum sie so lange nichts fand: Einstellungsvoraussetzung ist in aller Regel Sex mit dem Chef. Wenn er den nicht freiwillig kriegt, holt er ihn sich gerne auch mal gewaltsam. In einem Fall entging Anita einer Vergewaltigung nur, weil sie rechtzeitig einen Brieföffner zu fassen bekam, mit dem sie dem Mann das Hemd aufschlitzte. „Diese Erlebnisse muss ich mir immer vor Augen halten, wenn es hier in der Arbeit Probleme gibt“, sagt Anita. Unser Geschäftsführer Marco stellt zwar keine derartigen Forderungen, aber er behandelt sie ansonsten nicht eben zimperlich. Anzeige hat Anita nie gestellt. „Er war ein reicher Anwalt, da habe ich keine Chance“, sagt sie. Mit dem nötigen Kleingeld lässt sich hier alles regeln.


Spanischlehrerin Elisa ist Anfang 30, hat den Umfang einer Tonne und ist ein lebenslustiger Mensch. Ihren neunjährigen Sohn zieht sie mit Hilfe ihrer Mutter auf. Der Vater des Kindes hat sich während der Schwangerschaft abgesetzt. Ihre Schwester wurde von ihrem Ehemann jahrelang grün und blau und krankenhausreif geschlagen. Kürzlich ließ er sich taufen, seither beherrscht er sich.

Spanischlehrerin Rocía ist im selben Alter, hat ebenfalls einen kleinen Sohn und im Moment auch noch einen Mann. „Aber wie lange noch?“, fragt sie. Das Problem: Sie kann keine Kinder mehr kriegen. Weil nun aber der Herzenswunsch eines jeden lateinamerikanischen Mannes eine große Schar Kinder ist, wie sie sagt, und sie weiß, dass ihr Mann diese früher oder später mit einer anderen zeugen wird, hat sie ihn freigegeben. „Du kannst gehen, damit Du glücklich wirst.“ Früher oder später wird er das tun.

Spanischlehrerin Rosita könnte man fast schon als Feministin bezeichnen: Ihr Mann muss samstags beim Wäschewaschen helfen (Maschine haben hier nicht viele Leute) und auch mal auf die Kinder aufpassen. Seine Familie sieht das nicht nur nicht gerne, sondern versucht aktiv, diesen Ausbruch aus der klassischen Rollenverteilung zu hintertreiben. Aus erster Ehe hat die 35-Jährige einen Sohn, den der Vater nach Spanien entführt hat. Sie hat den inzwischen elfjährigen Buben seit drei Jahren nicht mehr gesehen.


Spanischlehrerin Irene ist ein Ausbund an Geschichten, und wenn nur die Hälfte von dem wahr ist, was sie erzählt, ist es immer noch zuviel für ein Leben von 37 Jahren. Irene ist bereits Großmutter und lebt zurzeit mit ihrer Mutter, ihrer eigenen Großmutter, ihrem 16-jährigen Sohn und ihrem Mann sowie mit ihrer 19-jährigen Tochter, deren Sohn und deren derzeitigen Lebensgefährten in einer Wohnung, die - nach ihren Erzählungen zu schließen - nicht viel größer sein kann als meine. Dort rumpelt es täglich. Einer der Punkte: Ihr „Schwiegersohn“ prügelt das Kind täglich. Als sie das am Anfang verhindern wollte, ging er auf sie los. Seither mischt sie sich nicht mehr ein. Ihre Tochter hat bereits zwei Abtreibungen hinter sich. Alle drei Schwangerschaften sind von unterschiedlichen Männern. Ihr Sexualleben begann mit einer Vergewaltigung.


Irene selbst heiratete mit 15 einen erheblich älteren Mann, der sie in kurzer Zeit fünfmal schwängerte, ansonsten jede Nacht herumzog und sie anschließend ganz verließ. Nur zwei der Kinder leben heute noch. Mit 21 rappelte sie sich auf, ging wieder zur Schule und anschließend auf die Uni und lernte das, was sie heute ist und kann. Sie hat eine ganze Serie von Geschichten über sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz und an anderen Orten auf Lager.

Wenn sich der Machismo in weniger heftiger Form präsentiert, dann sagt ein grundhässlicher Man nach kurzem Gespräch und in vollkommener Missachtung der Realität der Frau ungeniert ins Gesicht: „Te impacté mucho!“ Wobei die direkte Übersetzung mit „Ich habe Dich stark beeindruckt!“ wohl nicht ganz den eigentlichen Sinn erfasst. Nicht lachen, mir ist exakt das passiert.

Nun ist es aber falsch zu glauben die Schuld trügen nur die Männer. Nein, viele Frauen empfinden dieses Verhalten als normal. Und wer das nicht glauben will, dem sei noch zum Abschluss ein Sprichwort mitgegeben, das relativ häufig zitiert wird: „Aunque pegue, aunque mate, mi marido es.“ Auf Deutsch: Auch wenn er mich schlägt und selbst wenn er mich tötet, er ist mein Ehemann. Wir haben mit eigenen Augen gesehen, was passiert, wenn jemand auf der Straße einer Frau helfen will, die von ihrem Ehemann misshandelt wird: Die Frau lehnt die Hilfe ab, und wenn sie das freundlich tut, hat der Helfende noch Glück.

Ihr seht also: Die Kampagne von Amnistía ist wirklich nötig. Aber ob sie helfen wird, die Realität zu ändern, das ist wiederum eine andere Frage.

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