Sonntag, 3. Oktober 2004

La Parillada





Habe gerade einen Berg Garnelen mit Weißbrot verputzt, ein Bier aufgemacht und eine meiner neuen Salsa-CDs in den Computer geschoben. Bei aller immer noch anhaltenden Euphorie muss ich allerdings zugeben, dass es hier eine Sache gibt, die mir langsam richtig auf die Nerven geht: Reis. Ich kann ihn nicht mehr sehen. Die Ecuadorianer essen Reis zum Frühstück, Mittag- und Abendessen wie wir Brot, und wenn ich schon die weiße Pampe mit einem Stück Banane und ein paar fettigen Pommes dazu sehe, wünsche ich mir einen ordentlichen Knödel - oder wenigsten Kartoffeln. Deshalb habe ich mir in dieser Woche zum ersten Mal einen großen Berg Semmelknödel gemacht und Gulasch dazu gekocht. Um genau zu sein, waren es so viele Knödel, dass ich anderntags immer noch welche hatte, um sie mit dem Sauerkraut zu essen, das mir Petra auf meine Bitten nach Peru mitgebracht hat. Ein Festmahl. Für mich. Während die ausländischen Freunde das Gulasch verschlangen, für die Semmelknödel konnte ich sie nicht richtig erwärmen.

Aber weil es eigentlich niemanden gibt, der das ecuadorianische Essen noch sehen kann, haben wir uns kürzlich auf den Weg gemacht zu einem Plätzchen, das Isar, Attel und Leitzach zwar nicht annähernd ersetzt, aber immerhin ein bisschen Freizeitgefühl aufkommen lässt. Mein Ecuador-Reiseführer sieht schon reichlich zerfleddert aus (auch wenn Petra in Peru meinte, ich hätte ja noch nicht viel gesehen), aber dieses Plätzchen findet sich darin nicht. Es ist eher Naherholungsziel für smoggeschädigte Quiteñer denn Touristenattraktion.


Der Ort heißt Parque Metropolitano Guangüiltagua, zieht sich im Nordosten der Stadt den Berg hinauf und ist so etwas wie ein kleines Naturreservat. Na ja, für ecuadorianische Verhältnisse sieht die Natur eher mager aus: Grasflächen, Eukalyptus-Wäldchen, Lamas, Kunstwerke und Eisverkäufer. Aber der Berg gibt den Blick auf den gesamten Norden der Stadt frei, und wenn man einmal über die Kuppe gelaufen ist, eröffnet sich auf der anderen Seite das Tal Cumbaya, wo die Betuchteren und die Ausländer leben. Aber weder Natur noch Aussicht waren das Ziel unseres Ausflugs am vergangenen Wochenende.

Samstagmittag sind wir mit einem Sack Kohlen über der Schulter und einigen Kilo Fleisch und Würstel im Rucksack, einem Fünf-Liter-Bottich Wasser und einigen Flaschen Wein, Brot, Servietten, Plastiktellern, Decken und was sonst noch dazugehört, also ordentlich bepackt, in den Oberleitungsbus gestiegen, der an diesem Tag noch voller war als sonst. Am Fußballstadium Atahualpa haben wir den Ecovia wieder verlassen, sind in zwei Taxen das Viertel Batan hochgezuckelt und schließlich im Park noch eine halbe Stunde zu Fuß gelaufen. Und da waren wir, wo wir den Rest des Tages zu verbringen gedachten: vier überdachte, gemauerte Grillplätze oberhalb eines Steilhangs mit unverstellbarem Blick auf Cumbaya.


Die richtigen Grillexperten haben natürlich gefehlt. Noch bevor sich jemand halbwegs niedergelassen hatte, schüttete Juan-Pablo schon die gesamte Kohle auf Zeitungspapier und machte sich mit Unterstützung von Tancredi, wilder Blaserei und hilflosem Gestochere und eindeutig mehr Entschlossenheit denn Können daran, die schwarzen Klumpen zu entzünden. Was unter anderem am scharfen Wind scheiterte, der vom Tal heraufblies. Die Hilfe von uns Mädels, Ana, Linda und ich, war eher nicht gefragt, wir öffneten derweil schon mal den Wein, und wenn nicht vom Nachbarplatz eine Ecuadorianerin mit glühender Kohle und Brennspiritus zu Hilfe geeilt wäre, säßen wir wahrscheinlich heute noch auf einem Berg roher Wurst- und Fleischwaren.


Während es nebenan irgendwann brutzelte, ließen wir uns auf den Decken nieder, zogen in der stechenden Sonne Schuhe, Strümpfe, Jacken und Pullover aus, und gerade als Ana auf meine Bitte hin zum dritten Mal „The Girl of Ipanema“ sang, hatten die dicken schwarzen Regenwolken unseren Berg auch schon erreicht. Hagel, Regen, Blitz und Donner folgten ziemlich schnell. Und kurz darauf hatten alle wieder alles an, was sie zuvor im Rucksack verstaut hatten, und versuchten sich am Grillfeuer zu wärmen. Fast wie in Deutschland also. Aber ich kann beteuern: ein ordentlich gegrilltes Stück Fleisch, das mehr ist als nur ein Haufen Fett und Flacksen und auch nicht nach Hund schmeckt - auch das wurde mir schon aufgetischt, jedenfalls schloss das ein Ecuadorianer nach meiner Beschreibung des Fetzelchens, das sich weder mit Zähnen noch Messer zerteilen ließ, schichtweise aufgebaut war und einen ziemlich bitteren Geschmack hatte – ein Festmahl für alle.

Wirklich das einzige, was ich in der ecuadorianischen Küche nach einigen Monaten wirklich noch gelten lasse, das ist Ceviche. Das beste bisher habe ich in der vergangenen Woche bei meiner ersten privaten Essenseinladung in einen ecuadorianischen Haushalt aufgetischt bekommen. Der Koch heißt Alejandro Santillan, und dass ich bis jetzt noch nichts von ihm geschrieben habe, liegt auch daran, dass ich von seinem Leben nach wie vor nur bruchstückhafte Informationen habe. Und der Abend mit einem linken Diplomaten aus dem ecuadorianischen Außenministerium von der Statur eines Riesen, einer jungen hübschen brasilianischen Politologin, die einen Journalisten der SZ namens Dominik kennt, einem gemütlichen dicken ecuadorianischen Fotografen, einem Filmemacher, der aussieht als wäre er von den 68-ern übriggeblieben (wahrscheinlich Kolumbianer, denn linksintellektuell und gut aussehende Männer hier sind meistens aus dem Nachbarland im Norden), dem ehemaligen deutschen Entwicklungshelfer und heutigen TV-Journalisten Siegmund Thiel und dessen schwarzer ecuadorianischen Freundin, die in der Quiteñer Stadtverwaltung arbeitet, also auch an diesem Abend habe ich nicht sehr viel mehr über den Gastgeber erfahren.


Alejandro Santillan dürfte etwa 50 sein, reicht mir etwa bis zum Ohr, so dass ich immerzu direkt in sein zerfurchtes Gesicht sehen kann, wenn ich mit ihm spreche, er trägt langes wehendes, aber bereits etwas schütteres schwarzes Haar und steht wahrscheinlich die meisten Momente seines Lebens kurz vor der Pleite. Alejandro ist Filmemacher, Anthropologe, Unidozent, dreht hin und wieder mit einem deutschen Filmemacher und arbeitet öfter mit Siegmund Thiel zusammen, über den ich ihn vor einigen Monaten auch kennen gelernt habe. Er weiß Geschichten von Shamanen und wundersamen Ereignissen zu erzählen mit einer Stimme wie aus dem Märchenbuch, ist halb italienischer Abstammung, lebt im gleichen Haus wie seine 90-jährige Oma, eine Familie des praktisch fast ausgestorbenen „Waldmenschen“-Stammes der Zaparos (so die Bezeichnung in meinem Führer) hat ihn praktisch als Sohn angenommen, alle anderen Stämme kennt er wie Zweige seiner eigenen Familie, und er ist von kaum zu überbietender Herzlichkeit.

Ihm nun habe ich es zu verdanken, dass ich diese Woche zum ersten Mal mein eigenes Ceviche fabrizieren kann: Wasser kochen, vom Herd nehmen, Fisch und/oder anderes Meeresgetier reingeben, abtropfen und auskühlen lassen, mit Zwiebeln und grünen Peperonis mischen und mit Öl, Tomaten-, Orangen- und Zitronensaft sowie Salz und Pfeffer würzen. Dazu isst man Bananenchips oder Popcorn. Und der Geheimtipp von Alejandros bereits verstorbenen Mutter: ein bisschen Zucker. Ich werde berichten, wie es geworden ist.

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