Sonntag, 5. Oktober 2008

Erste Annäherungsversuche

Draußen fallen die Blätter, der Sommer in München ist vorbei. Schon wieder Abschied. Meine Siebensachen packe ich fast schon mit Routine. In zwei große Koffer und das Handgepäck passt alles rein, was ich brauche. Selbst die warmen Sachen für einen so kalten Ort wie La Paz.

Als ich in der Nacht vor der Abreise den Computer abräume, schaue ich nochmal in die E-Mails. „Bitte melden Sie sich, Ihr Flug ist gekanzelt!“ Erst schmiss Boliviens sozialistischer Präsident Evo Morales den US-Botschafter raus, nun lässt er American Airlines nicht mehr bei sich auftanken. Weil sie so den Weg zurück nach Miami nicht mehr schaffen, fliegen sie also erst gar nicht mehr hin. Erstaunlich, dass sie das überhaupt noch taten, schließlich steht Bolivien auf Bushs schwarzer Liste der Schurkenstaaten.

Ich sitze einen Tag herum wie bestellt und nicht abgeholt. Gehe doch nochmal Badminton spielen und ins alte kino und schlendere an einem sonnigen Sonntag über das Oktoberfest und verstehe plötzlich, warum es den Fremden dort so gut gefällt.

„Liebe Fluggäste. Wegen eines Gewitters ist der Flughafen Miami gesperrt. Da wir nicht mehr genügend Benzin für die Warteschleife haben, werden wir in Fort Myers zum Tanken zwischenlanden.“ Ich schaue aus dem Fenster und sehe Sumpf. Als ich Stunden später versuche, mich in der Schlange vor dem Einreiseschalter der USA vorzudrängeln, scheitere ich an einer deutschen Reisegruppe. Am Check-in der bolivianischen Linie Aerosur erfahre ich, dass der Flug über Santa Cruz nach La Paz bereits geschlossen ist. Sie buchen mich ohne zu meckern auf den nächsten um. Der ist zwei Tage später.

Mein erster Tag in den Vereinigten Staaten. Ein Ort, um Angst vor der Zukunft zu bekommen. „Bus? Ich lebe seit 34 Jahren hier, aber einen Bus habe ich noch nie benutzt“, sagt die Hotelrezeptionistin, die wie alle hier aus Cuba stammt, und bestellt mir ein Taxi. Downtown hin und zurück 55 Dollar. „Du bist wohl für den Kommunismus?“, bedrängt mich der exil-cubanische Fahrer nach kurzem Smalltalk in einem unangenehmen Ton. Ich beschließe, fortan keine dummen Fragen mehr zu stellen.

Die empfohlene Sehenswürdigkeit ist eine Mall am Hafen, die den Charme eines lateinamerikanischen Marktes imitieren soll und doch nur Sterilität produziert. Ein Eis kostet fünf Dollar, der Stundenlohn liegt bei acht. Drumherum glitzern die verglasten Wolkenkratzer. Dutzende Stockwerke hoch ein Balkon über dem anderen, ohne Blumen, ohne Stühle und erst recht ohne Menschen. Gehsteige ohne Fußgänger. Eine Stadt voller Sonne, aber scheinbar ohne Seele. Und selbst Little Havana, wo sich cubanische Revolutionsgegner in den 50er Jahren ansiedelten, ist nicht mehr als ein verwaister Straßenzug mit ein paar Reklameschildern auf Spanisch.

An meinem zweiten Tag in den Vereinigten Staaten stelle ich mir den Wecker, um den Abflug nicht zu verpassen, und verziehe mich mit meinem Buch an den Swimmingpool. Dort darf man rauchen. Während ich die Recherchen zweier kolumbianischer Journalisten über die geheimen Absprachen der US-amerikanischen Behörden mit den kolumbianischen Drogenkartellen verschlinge und von den konspirativen Treffen der Kokainkönige aus dem Süden mit den Geheimagenten aus dem Norden in den Strandhotels von Miami lese, taucht plötzlich eine Menge US-Army im Kampfanzug um mich herum auf. Jetzt bin ich im Buch, äh, Film, denke ich. Dabei haben die nur Seminarpause.

Vier Stunden vor Abflug stehe ich bereits am Check-in-Schalter. Ein paar andere waren schon vor mir da. Jeder, der sich neu in die Schlange einreiht, begrüßt diese anderen mit Handschlag. Die Bolivianer kennen sich. Es gibt nur neun Millionen. Aerosur nimmt ohne zu meckern zur Kenntnis, dass ich jetzt doch schon in Santa Cruz aussteige. Eine Zwischenlandung in Panama dauert drei Stunden. Sie müssen einen kaputten Reifen wechseln. Zum Frühstück kurz vor dem Ziel bekomme ich das erste Mal etwas zum Trinken serviert.

Drei Wochen lang dichtes Einführungsprogramm in Santa Cruz, bevor es dann endgültig die Anden nach La Paz hochgehen soll. Es nieselt, die Regenzeit hat bereits begonnen. Auf der Straße geht es zu wie in der Karibik: gemächlich, freundlich, provinziell. Von den Krawallen des Tieflandes gegen das Hochland, wo die Zentralregierung sitzt, zeugen Plakate und Spruchbänder und das demolierte Büro der staatlichen Telefongesellschaft Entel am Hauptplatz. Der Taxifahrer verlangt weniger, als mir gesagt wurde. „Bist Du vielleicht für den Kommunismus?“, bedrängt der Evo-Gegner mich nach kurzem Smalltalk in halbwegs freundlichem Ton. Ich hatte gar keine dummen Fragen gestellt und schweige.

Spaziergang durch die Kolonialarkaden der Stadt. Durch die Straße mit den Spielzeugläden, durch die Straße mit den Matratzenläden, durch die Straße mit den Schusterläden. Als ich um die Ecke biege, steht ein Mann vor mir. Er nimmt die Tüte von der rechten in die linke Hand. Damit wir besser aneinander vorbeikommen, denke ich. Während ich noch denke, reißt er den rechten Arm hoch. „Ich will Dich hier nicht sehen“, brüllt er und schlägt mir mit Wucht seine Faust ins Gesicht. Wie im Film, denke ich verdutzt. Dabei ist es nur ein Irrer. Ich taumle ein bisschen, rette gerade noch meine Brille und mache mich aus dem Staub.

Als ich den Schock und den Schmerz bei einem Mittagessen verdaue, muss ich laut lachen: Scheint doch eine schwierige Annäherung zu sein.

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