Mittwoch, 29. August 2007

Nach dem Beben (III)

Pisco ist nicht nur der Name der Stadt in Peru, die beim Erdbeben vor zehn Tagen zu drei Vierteln zerstört wurde. Der Name Pisco steht auch für das Nationalgetränk des Landes. Einen „Pisco 7,9” wollte Perus Produktionsminister Rafael Rey nun herausbringen – in Anspielung auf die Intensität des Bebens. Das wurde selbst von den eher schicksalsergebenen Peruanern als grober Zynismus empfunden und hat landesweit Empörung ausgelöst. Angesichts der Proteste nahm der ultrarechte Politiker die Ankündigung anderntags kleinlaut zurück.

Staatspräsident Alan García hat die Pläne seines Untergebenen erst gar nicht kommentiert. Dafür redete er bei seinen Visiten im Katastrophengebiet umso mehr. „Hier wird keiner verhungern oder verdursten”, erklärte er zwischen den Trümmern. Doch auch zwei Wochen nach dem Unglück betteln noch immer verzweifelte Menschen an der Schnellstraße Panamericana um Essen und Wasser. In vielen zerstörten Anden-Dörfern hat sich kein Vertreter einer staatlichen Institution blicken lassen.

Auch ansonsten glänzte der Präsident in diesen Tagen nicht immer mit Sachkenntnis: „Die Nichtregierungsorganisationen sollen sich gefälligst an den Rettungs- und Aufräumarbeiten beteiligen”, forderte er. Ein spanisches Rettungsteam schnauzte er an: „Wer Angst hat, soll gehen!” Zu diesem Zeitpunkt waren längst alle maßgeblichen Organisationen in der betroffenen Region im Einsatz – nur die staatliche Katastrophenhilfe funktionierte nicht. Von dort kamen nur „pure Pose und Improvisation”, wie ein Peruaner in einem Leserbrief an die Zeitschrift Carretas schrieb.

Die Zivilschutzbehörde war in der Regierungszeit von Garcías Vorvorgänger Alberto Fujimori im Zeichen neoliberaler Reformen „verschlankt” worden – und zwar wie alle anderen peruanischen Institutionen bis zur Handlungsunfähigkeit. Das Budget war Jahr für Jahr reduziert worden, zum Zeitpunkt des Bebens bestand die Notfallausrüstung der Behörde aus zweihundert Zelten und einer Kiste Konserven. Zu wenig für 30 000 Familien, die ihr Haus verloren, nichts zu essen, keinen Strom und kein Wasser haben. Nur die überwältigende Hilfsbereitschaft der Peruaner gegenüber ihren Landsleuten glich die mangelnde staatliche Versorgung aus. Dann aber fehlte es an Koordination bei der Verteilung.

Die Abstimmung mit der Regierung funktionierte von Anfang an nicht. Kurz nach dem Beben brach das Telefonnetz zusammen, inklusive der „roten Leitung” der Armee, über die sich die Kommandeure in Krisenfällen eigentlich verständigen sollen. Bis heute können Staatsbedienstete ihre Satellitentelefone nicht benutzen, weil die Regierung die Rechnungen nicht bezahlt hat. Lokale Autoritäten sind oft handlungsunfähig. Der Bürgermeister der Stadt Pisco, Juan Mendoza, verlor selbst Angehörige bei dem Beben, er ist traumatisiert und beginnt in Besprechungen zu zittern.

Was passiert wäre, hätte das Beben in der Neun-Millionen-Metropole Lima die gleich Intensität erreicht wie in der 300 Kilometer entfernten Küstenregion, hat Julio Escobar mit Hilfe eines Computerprogramms simuliert. Der Spezialist für geographische Informationssysteme rechnet bei einem vergleichbaren Erdbeben in Lima mit hunderttausend Toten und einer Million Obdachloser. Escobar ist 80 Jahre alt, er hat 1970 miterlebt, wie seine Heimatstadt in den Anden durch ein Erdbeben zerstört wurde. Bei der Naturkatastrophe starben mehr als 50 000 Menschen. Damals wurde der Zivilschutz geschaffen, zu dessen Mitbegründern Escobar gehört. Nun hofft er darauf, dass dem Beben ein politisches Beben folgt.

Doch Präsident García bleibt bei den üblichen Mitteln. Der Wiederaufbau soll ausgelagert werden in eine neugeschaffene, nicht-staatliche Institution, die der ultrakonservative Unternehmer Julio Favre führen wird – nur dem Präsidenten verpflichtet und ohne die Auflagen, die für den öffentlichen Dienst gelten. Kritik am Notfallmanagement wies García bisher empört zurück. Er fürchtet auch wegen Skandalen um seine Popularität. Garcías Zustimmungswerte sanken in einem Jahr von mehr als 60 auf 30 Prozent. Abgeordnete machen von sich reden, weil sie ihre Putzfrauen zum Schein als politische Berater anstellten. Außerdem eskalieren die Grenzstreitigkeiten mit Nachbar Chile. Die Wachstumsraten vor dem Beben waren zwar hoch, doch viele Menschen haben nichts davon. Im Juli kam es zu Protesten, Streiks und Straßenblockaden. Eine neue Welle des Aufruhrs wurde nur durch das Erdbeben abgewürgt.

Der Schriftsteller Beto Ortiz schilderte in der Zeitung Perú 21, wie die Misere des Landes sich in den Gesichtern der ausgemergelten und halbverhungerten Gestalten spiegelt, die im Katastrophengebiet um Essen anstehen. „Dieses Erdbeben war in Wirklichkeit der brutale Ausbruch eines Vulkans des Elends, das dieses Land an allen Ecken überzieht.”

2 Kommentare:

Unknown hat gesagt…

Liebe Uschi,

du bist einfach unglaublich!!!
Woher nimmst du die Muse und die Zeit, bei all dem Stress, den du um die Ohren hast, noch so tolle Texte zu schreiben?

Bis bald

Sandra

Anonym hat gesagt…

Hallo Uschi!!!

Da muß ich der Sandra echt recht geben!!!! Ich glaube so spannend und vor allem auf den Punkt bringend können nur die wenigsten schreiben. Ich wünsche dir einen schönen Urlaub und erhol dich gut. Bis demnächst mal wieder.

Viele liebe Grüße

Gisela, Rainer und Juliane, die dir einen dicken Kuss mitschickt